last update: 18.07.2012

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Aconcagua 2002

3. Andenexpedition 2002/03      zum Aconcagua (6962 m)          Mendoza / Argentinia

Vorbemerkung:

Ursprünglich wollte ich vor einem Jahr bereits im Flieger sitzen und einen Solotrip zum Aconcagua angehen oder mir einen geeigneten Partner vor Ort suchen, aber unsere zweimonatige Expedition in die Cordillera Blanca (Peru) im Sommer 2001 hatte mich so ausgepowert, dass ich körperlich (7 kg Gewichtsverlust), geistig und seelisch irgendwie ausgebrannt war. Es wären zwischen der Rückkehr aus Peru und dem Start nach Argentinien nur 3 ½ Monate Zeit gewesen, in denen ich wieder fit und sehr gut trainiert hätte werden müssen. Nach dem Beginn eines zaghaften Aufbautrainings merkte ich bald, dass die Zeit nicht reichen würde. Hinzu kamen die wetter- und krankheitsbedingten Rückschläge an den Bergen in Peru. Einen weiteren bergsteigerischen Frust in diesem Jahr musste ich unbedingt verhindern.

Jetzt, ein Jahr später, war die Situation eine andere: Im Sommer 2002 sind Utta und ich 7 Wochen durch die Dolomiten gezogen und konnten trotz des miserablen Wetters einige schöne Touren machen. Außerdem wollte Utta jetzt mitkommen. Direkt nach unserer Rückkehr aus den Dolomiten begannen wir mit dem Training. Da die Körper längst nicht so heruntergewirtschaftet waren, starteten wir von einem günstigeren Niveau. Das Lauftraining intensivierten wir bis Dezember drastisch. Einige unerwartete terminliche Probleme zwangen uns noch eine Woche unbezahlten Sonderurlaub zu nehmen. Dann ging es endlich los.

13.12.02 (1.Tag)

Von Malaga fliegen wir zunächst nach Madrid. Um 22.30 Uhr startet der Jumbojet nach Buenos Aires. Diesen nicht enden wollenden Flug verbringen wir mit viel Schlaf. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass es schon in Buenos Aires richtig spannend werden sollte.

14.12.02 (2.Tag)

Bei der Ankunft in Argentinien muss jeder aus Europa Anreisende sein Gepäck in Empfang nehmen, identifizieren, Fragen beantworten und für den Weiterflug wieder aufgeben. Wir haben nur 90 Minuten auf dem Flughafen Buenos Aires um unseren Anschlussflug zu erreichen. Die Einreiseformalitäten dauern ewig, da nur zwei Schalter geöffnet sind, aber die Passagiere einer vollbesetzten Boeing 747 abgefertigt werden müssen. Nach 70 Minuten stellen wir fest, dass unsere rote North-Face-Tasche nicht da ist, d.h. ein Drittel unserer Ausrüstung fehlt. Das Büro, in dem man verlorengegangene Gepäckstücke meldet, ist schon von weitem an der langen Schlange zu erkennen. Viele unserer Flugzeugnachbarn stehen dort. Kurz bevor wir endlich unseren Verlust melden können, werden wir namentlich ausgerufen, da die Maschine nach Mendoza bereits startklar ist. Unter Tränen meldet Utta unseren Verlust, während ich mich darum bemühe, dass der Start unserer Maschine etwas verzögert wird. Als der Mann im „Verlustbüro“ erfährt, dass wir eigentlich schon in der nächsten Maschine sitzen müssten, hält er es für besser den Verlust erst in Mendoza zu deklarieren.

In den folgenden zehn Minuten werden wir im Laufschritt von verschiedenen Mitarbeitern des Flughafenpersonals durch Gänge und Räume gelotst. Wir lernen dabei, wie schnell man mit Plastik-Bergschuhen sprinten kann. Beim Sicherheitscheck reicht bei Utta das Übliche, während ich mich wieder einer intensiveren Leibesvisitation unterwerfen muss. Auch in Madrid hatte schon ein netter junger Mann mit Latex-Handschuhen meinen Körper abgetastet - eine tolle Erfahrung. Unsere Begleiter werden nun auch sehr nervös, weil sich ihr Kollege mit mir so viel Zeit lässt. Dann geht es im Laufschritt weiter durch irgendwelche Gänge, die normalerweise dem Security-Personal vorbehalten sind. Plötzlich werden wir in einen VW-Bus gestoßen, der bereits mit laufendem Motor wartet. Dieser fährt sofort los und rast über das gigantische Flughafengelände. Wir schauen uns im Bus um, denn wir hoffen unser restliches Gepäck zu finden – vergeblich. Unser Flieger steht mit laufenden Triebwerken da. Wir hechten aus dem Bus und stürmen die Treppe hinauf. Trotzdem die Maschine wegen uns mit einer halben Stunde Verspätung startet, ist zumindest das Bordpersonal sehr nett zu uns. Uns steht der kalte Schweiß auf der Stirn, wir fühlen uns elendig. Während der nächsten drei Stunden sitzen wir verkrampft auf unseren Sitzen. Sind die schwarzen Packsäcke mit unseren Rucksäcken im Bauch der Maschine? - Wird die rote Tasche jemals wieder auftauchen?

Im Airport Mendoza nehmen wir dann doch unsere schwarzen Packsäcke entgegen. Anschließend müssen wir unseren Verlust melden. Glücklicherweise ist der Airport sehr klein und überschaubar. Das Personal gibt uns zunächst zu verstehen, dass unser Verlust in Buenos Aires hätte gemeldet werden müssen. Als sie dann hören, dass wir zum Aconcagua wollen und dass der wichtigste Teil unserer Expeditionsausrüstung fehlt, setzen sie alle Hebel in Bewegung, um unser Gepäckstück zu orten. Nach zwei Stunden steht fest, dass die rote Tasche Madrid nie verlassen hat. Man macht uns Hoffnung, dass die morgige Maschine aus Buenos Aires die Tasche mitbringen würde...

Wir fahren mit einem Taxi nach Mendoza-City und lassen uns vor unserem Hotel Vecchia Roma absetzen. Hier läuft alles wie geplant. Unseren Transport nach Puente del Inca, dem Ausgangsort aller Expeditionen, verschieben wir um 24 Stunden. Bei über 30 ºC und einer irren Luftfeuchte gehen wir in unseren Plastik-Bergschuhen durch die Stadt, um uns ein Paar billige Schuhe zu kaufen. Aus Platz- und Gewichtsgründen hatten wir die Schuhe während der Anreise an. Die einzigen anderen Schuhe, unsere Sandalen, befinden sich in der roten Tasche. Wer bei diesem Sommerwetter mit Plastik-Bergschuhen herumläuft, erregt Aufsehen. Im Schuhgeschäft sind wir von Kindern umringt, die insbesondere meine Schuhe faszinierend finden. Knallgelbe Stiefel in Größe 46, die bei der Isolierleistung eher wie Größe 50 wirken, sind ein echter Hingucker.

Wir schlafen ein paar Stunden im Hotelzimmer und gehen am Abend mit neuen Billigtretern etwas essen. Obwohl Mendoza eine sehr schöne begrünte Stadt mit viel Atmosphäre ist, kann bei uns keine Freude aufkommen. Wir denken nur an unsere fehlende Tasche und an den Inhalt: zwei Zelte, zwei Schlafsäcke, vier Isomatten, Daunenhosen, Daunenjacken, Benzinkocher, Benzinflaschen, gefriergetrocknetes Essen usw.

15.12.02 (3.Tag)

Nach dem Frühstück im Hotel schlendern wir durch die menschenleere Stadt. Es ist Sonntag. Wir besuchen einige dieser systematisch angelegten begrünten Plätze und warten. Die aktuelle Auskunft des Flughafenpersonals ist, dass die rote Tasche gegen 12.30 Uhr im Hotel sein wird. Wir schlagen die Zeit tot und fühlen uns völlig ohnmächtig (= ohne Macht). Noch schlimmer wird es als um 13.30 Uhr noch immer keine Tasche im Hotel angekommen ist. Patricia, eine sehr hilfsbereite Mitarbeiterin des Hotels, telefoniert für uns. Allerdings sind an einem Sonntagnachmittag vielen Stellen gar nicht oder notdürftig besetzt. Wir sollen nun auf die Ankunft der 18-Uhr-Maschine aus Buenos Aires warten. Für uns ist nun klar, dass unsere Tour zum Aconcagua hier in Mendoza endet, wenn wir die Tasche nicht zurückerhalten. Den Nachmittag verbringen wir auf dem recht einfachen Hotelzimmer mit lesen und schlafen. Um meinen Kopf hat sich eine Depression wie eine Schraubzwinge gelegt. Ich kann und will nicht mehr denken. Nach zwei jeweils zweimonatigen Expeditionen nach Peru weiß ich, dass wir Bergsteiger in den Augen der südamerikanischen Bevölkerung sehr, sehr reiche Menschen sind. Alleine der Inhalt unserer roten Tasche ist viele tausend Euro wert. Wer unsere Tasche entwendet, kann den Inhalt auf dem Schwarzmarkt gut verkaufen, da es diese Ausrüstung in Südamerika nicht oder nur gebraucht zu kaufen gibt. Da es auch in Spanien viel zu viel Armut gibt, könnte die Tasche auch in Madrid einen neuen „Besitzer“ gefunden haben. Viele negative Gedanken beherrschen meinen Geist, glücklicherweise schlafe ich irgendwann ein. Kurz vor 18 Uhr weckt mich Utta. Uns wurde empfohlen, dass wir gegen 19.30 Uhr am Flughafen anrufen, doch wir halten es nicht aus und fahren mit einem Taxi zum Airport. Da in Mendoza nur zwei bis fünf Maschinen pro Tag ankommen, ist es sehr familiär. Das Personal erkennt uns wieder und stellt einen Mitarbeiter ab, der am Gepäckband unsere Tasche suchen soll, da wir keinen Zugang zu diesem Bereich haben. Wir können das Geschehen durch eine Glasscheibe beobachten. Plötzlich sehen wir eine rote North-Face-Tasche und unser Mann greift auch zu. – Die Tasche hat einen weißen statt eines schwarzen Aufdrucks und gehört drei Amis, die strahlend aus der Tür kommen. Scheiß Kerle. Eine für uns lange Zeit später wird unser Mann nervös. Utta rast plötzlich davon und verschafft sich gegen den Strom der herauskommenden Menschen Zugang zum Gepäckband. Was sie dem Security-Mann, der sie zuerst abfängt, erzählt hat, weiß ich bis heute nicht. Jedenfalls steht sie Sekunden später mit unserem Mann zusammen am Gepäckband und reißt unsere Tasche zu sich und es ist wirklich unsere. Wir sind beinahe schon zu fertig, um uns wirklich zu freuen. Wir fahren zurück zum Hotel und lassen Patricia bestätigen, dass wir morgen früh abgeholt werden möchten. Anschließend verschwinden wir im nahegelegenen Supermercado und decken uns mit den Lebensmitteln ein, die wir nicht in gefriergetrockneter Form aus Europa mitgebracht haben. Am späteren Abend genießen wir ein Abendessen draußen vor einer Bar. So warm und gemütlich wird es in den nächsten Wochen mit Sicherheit nicht mehr werden.

16.12.02 (4.Tag)

Um 8.00 Uhr soll unser Büschen kommen und uns abholen. Entgegen jeder Erfahrung in Südamerika kommt unser Fahrer Daniel um 7.30 Uhr ins Hotel. Wir sitzen gerade beim Frühstück und irgendwie spüren wir die Ungeduld unseres Fahrers. Kurz vor 8 Uhr verlassen wir das Hotel und sind bereits um 8.02 Uhr vor dem Büro, in dem wir unsere Permits für die Besteigung des Aconcagua bekommen. Nur eine kommerzielle Gruppe ist vor uns. Sie benötigen 12 Permits und das dauert. Daniel wacht währenddessen am Auto über unsere Ausrüstung und sein Fahrzeug. Danach geht es endlich los. Wir fahren Richtung Chile, vorbei an der zweitgrößten Raffinerie Argentiniens, entlang eines neu angelegten Stausees und tauchen irgendwann in die Öde des Hochgebirges ein. Gegen Mittag sind wir bereits in Puente del Inca. Dort lernen wir Mario kennen. Er ist offensichtlich die rechte Hand von Rudy Parra, über den wir bereits per E-Mail von Spanien den Transport unseres Gepäcks per Maultier organisiert haben. Unser Gepäck wird gewogen, wir bekommen weiteres Benzin für unseren Kocher und besprechen die restliche Organisation. Marios Frau betreibt in Puente del Inca die Aconcagua-Bar. Es ist ein staubiger Holzverschlag mit Plastikplanen als Windschutz. Man weiß diese Bar erst nach der Rückkehr vom Berg richtig zu schätzen. Wir bauen auf dem Gelände von Rudy Parra unser Zelt auf. Erst morgen wollen wir aufbrechen und hier eine erste Nacht auf 2700 m verbringen.

17.12.02 (5.Tag)

Um 7.45 Uhr stehen wir auf. Das traditionelle Müsli mit Milchpulver erzeugt bereits beim ersten Verzehr Brechreiz. Offensichtlich hat mein Körper den Geschmack nicht vergessen. Das sind ja gute Aussichten. Um 10.00 Uhr bringt uns Mario mit seinem Auto einen Ort talabwärts nach Punta de Vacas (2350 m). Hier beginnt das Vacas-Tal, welches den Zustieg zum Basislager Plaza Argentina ermöglicht. Die Mulis mit unserer Ausrüstung sollen uns im Laufe des Tages einholen. Wir tun uns bei der Hitze sehr schwer, denn wir tragen unsere Plastikbergschuhe. Die Sonne steht fast senkrecht über uns und brennt in das in N-S-Richtung verlaufende Tal ohne Gnade. Nach 5 Stunden erreichen wir unser erstes Etappenziel, Pampa de Leña (2700m). Der Ranger kontrolliert unsere Permits und gibt uns unsere nummerierten Müllbeutel, die bei der Rückkehr voll wieder abzugeben sind. Unsere Mulis sind noch nicht da, so dass wir noch über 2 Stunden auf unsere Ausrüstung warten müssen. Während unserer Wartezeit und auch den Rest des Tages bemerken wir ein sehr merkwürdiges Verhalten bei den (wahrscheinlich) meisten Bergsteigern in Pampa de Leña: Man gibt sich extrem gut trainiert, bouldert teilweise an herumliegenden Felsböcken und zeigt keine Anzeichen von Schwäche, Müdigkeit oder Verletzbarkeit. Entsprechend wortkarg gibt man sich auch, wenn man über die geplante Route Auskunft geben soll. Das dieses für uns befremdliche Verhalten und Imponiergehabe bis in großen Höhen anhält, ist inzwischen allgemein bekannt und auch, dass es eine Hauptursache für schwere Erkrankungen und Unfälle an hohen Bergen darstellt. Einige von diesen „Extrembergsteigern“ werden wir noch in den Rettungshubschrauber steigen sehen, manche müssen bereits liegend abtransportiert werden...

Obwohl wir nur die Schlafhöhe der vergangenen Nacht (2700 m) erreicht haben, habe ich etwas Kopfschmerzen.

18.12.02 (6.Tag)

Der zweite Tag des Anmarsches ins Basislager beginnt um 7.00 Uhr. Das geschäftige Treiben unserer Nachbarn lässt uns nicht länger schlafen. Um 8.50 Uhr starten wir. Etwa 1 km oberhalb von Pampa de Leña gibt es eine neue einfache Stahlbrücke über den Rio de Vacas. Diese Brücke erleichtert das morgendliche Überqueren des Flusses. In der Vergangenheit musste man eine geeignete Stelle zum Queren suchen oder konnte vielleicht auf dem Rücken eines Mulis den Rio Vacas überqueren. Wir benötigen rund 6 h bis Casa de Piedra (3200 m), unserem nächsten Schlafplatz. Der Weg ist nicht steil, aber sehr lang. Der Gegenwind wurde immer stärker, je näher wir unserem Ziel kamen. Weder in der Cordillera Blanca (Peru) noch in den Alpen haben wir eine so öde Landschaft gesehen. In Peru haben wir auf 4800 m noch weidende Kühe angetroffen, hier wächst auf 3000 m fast nichts mehr. Es gibt nahe des Flusses wenig Gras und selten ein paar Büsche. Die umliegenden rostbraunen Berge sind fast ausschließlich reine Geröllhalden. Am Abend gibt es einen kurzen Schneeschauer, danach können wir durch das rechtwinklig abzweigende Relinchos-Tal das erste Mal unser Ziel sehen: rund 3800 Höhenmeter trennen uns noch vom Gipfel des Aconcagua. Selten habe ich mich so klein gefühlt.

19.12.02 (7.Tag)

Wecken ist um 6.15 Uhr, zwangsläufig, denn einige Bergsteiger packen bereits nervös ihre Ausrüstung zusammen. Ich habe meine bislang beste Nacht verbracht. Der Schlafsack ist nicht mehr zu warm, die letzte Wiese unterm Zelt schön weich und unser Berg ist zumindest schon zu sehen. Um 8.15 Uhr starten wir. Die zwölfköpfige Gruppe des AAI (Alpine Ascents International), deren Chef ich bei der Permitausgabe kennen gelernt habe, ist bereits im knietiefen Wasser des Vacas-Flusses unterwegs. Sie watscheln auf Skistöcke gestützt durch die Fluten. Utta gefällt die Vorstellung gar nicht, dass wir nach dem letzten heißen Tee durch die kalten Fluten müssen. Unser Mulitreiber und sein Kollege lassen sich von Utta schnell überzeugen, dass wir gerne reiten möchten. Sie verschieben das Aufladen unseres Gepäcks und preschen mit vier Mulis herbei. Jeder von uns sitzt wenig später auf einem Maultier. Mit meinen Plastikstiefeln (in Größe 46) ist es nicht so einfach in die Steigbügel hineinzukommen. In zum Teil zügigem Tempo reiten wir durch die Fluten des Rio Vacas. Am anderen Ufer steigt Utta schwungvoll vom Muli. Ich will es ihr gleich tun, habe aber jetzt Schwierigkeiten aus dem Steigbügel zu kommen. Der dicke Plastikstiefel hängt fest. Als ich ihn endlich losreißen kann, flutscht das Bein über den Rücken des Maultieres, so dass ich doch noch an einen Abstieg in John-Wayne-Manier glaube. Leider bleiben die Ösen für die Schnürsenkel des Bergschuhs am Lasso, welches hinterm Sattel befestigt ist, hängen. Ich hänge hilflos wie ein in eine Falle gelaufenes Tier am Muli fest. Unsere Mulitreiber haben was zu lachen und ich beinahe eine Bänderdehnung. Ein Spagat am frühen Morgen war noch nie meine Stärke. Der eigentliche Aufstieg durch das Relinchos-Tal verläuft ohne weitere Zwischenfälle. Es ist das anstrengendste Teilstück ins Basislager, da man 1000 Höhenmeter zwischen 3200 und 4200 m zurücklegen muss. Nach 4 h sind wir mürbe, benötigen aber noch weitere 2,5 h bis ins Basislager. Das Lager liegt auf 4200 m in einer Moränenmulde und ist erst dann zu sehen, wenn man nur noch fünf Minuten vor sich hat. Niemals zuvor habe ich einen öderen Lagerplatz gesehen. Eine unbeschreibliche Steinwüste mit ein paar bunten Zelten. Keine Pflanzen, kein Schutz vor dem ständigen Wind, nichts. Unser Gepäck nehmen wir an den halbzylinderartigen Zelten von Rudy Parra entgegen. Jeder größere Dienstleister, der Maultiertransport, Mahlzeiten, Trägerdienste usw. anbietet, hat während der Saison ein bis zwei größere Zelte im Basecamp aufgestellt. Rudy Parras Mann im Basecamp ist Daniel, der von seinen Helfern respektvoll „Commodore“ genannt wird. Von Dezember bis Anfang März ist er nonstop im Basecamp Plaza Argentina. In den Monaten Juni bis September bietet er ähnliche Dienste in der Cordillera Blanca (Peru) an. Die Hälfte des Jahres lebt dieser Mann auf über 4000 m im Zelt und kümmert sich um das Wohl seiner Klienten. Unglaublich.

Wir bauen unser Zelt an einem geeigneten Platz auf und errichten eine Mauer aus den herumliegenden Steinen, damit wir ein wenig Schutz vor dem permanenten Wind bzw. Sturm haben. Es ist Schwerstarbeit, wenn man gerade erst auf dieser Höhe angekommen ist. Den beiden benachbarten spanischen Paaren aus dem Großraum Barcelona reißt bereits am ersten Abend das Außenzelt ihres Basislagerzeltes auf. Abends im Zelt freue ich mich über einen Ruhepuls von 60 (zu Hause 48).

20.12.02 (8.Tag)

Um 7.50 Uhr erreicht die Sonne unser Zelt. Wir verbringen einen Ruhetag im Basislager und sortieren und präparieren unsere Ausrüstung. Einen Teil des Vormittags verbringen wir im Mannschaftszelt von Daniel, denn es trudeln nacheinander drei Amerikaner ein, die am Gipfel waren. Sie sind wohl die ersten Bergsteiger, die den Gipfel in dieser Saison von der Ostseite erreicht haben. Der Erste des Teams wirkt bereits mitgenommen, aber die anderen beiden sind so fertig und ausgelaugt, dass wir einen schwachen Eindruck davon bekommen, was uns noch bevorsteht. Sie berichten uns, dass neben der Höhe der ständige Sturm der größte Feind ist. Der Polengletscher war für sie nicht gangbar und sie hatten wohl Angst oben vom Grat gefegt zu werden. Sie wichen auf die Route „Falso de Polacos“ aus, die den Aconcagua ab Lager 2 ansteigend umrundet und in den oberen Teil der Normalroute mündet. Die legendäre Canaleta war wohl teilweise eis- und firnverkrustet, so dass der Anstieg leichter war als bei losem Geröll.

Seit wenigen Jahren gibt es in der Hochsaison auch einen Arzt im Bascamp. Wir besuchen ihn und erfahren, dass bereits einer der Bergsteiger der AAI-Gruppe im Überdrucksack liegt; Lungenödem. Da heute keine Mulis mehr kommen, kann er nicht abtransportiert werden. Für den neuen Hubschrauber ist es viel zu stürmisch.

Am Nachmittag hält uns dann doch nicht mehr im Basecamp, wir steigen ein wenig Richtung Lager 1 auf. Das erste Mal in unserem Leben stehen wir vor Büßereissäulen. Es sind beeindruckende Gebilde, die einem aber das Leben verdammt schwer machen, wenn man durch sie hindurch aufsteigen muss. Nach etwa 300 Hm kehre ich um. Kurz vor dem Umkehrpunkt löst sich aus der linken Felswand Steinschlag. Es regnet faustgroße Felsstücke. Ich werfe mich zwischen die Büßereissäulen und werde mehrfach nur knapp verfehlt. Utta ist bereits ein paar Minuten zuvor umgekehrt und hat nichts davon mitbekommen. Ich habe wieder einmal meinen Schutzengel in Anspruch genommen und erfahren dürfen, dass es recht viele Möglichkeiten gibt, am Aconcagua zu scheitern.

21.12.02 (9.Tag)

Aufstehen um 8.00 Uhr, Abmarsch zu Lager 1 um 10.00 Uhr. Unser heutiges Ziel ist, Lager 1 auf 4990 m einzurichten. Wir tragen das Hochlagerzelt, Seile, Klettergurte, Eisgeräte, Nahrung usw. hoch. Das Gewicht der Rucksäcke ist noch akzeptabel. Die Büßereissäulen haben bis zu 2,50 m Höhe und vermitteln eine völlig neue Art der Gletscherquerung. Im oberen Teil geht jeder in seinem Tempo. Ich erreiche nach 4,5 h Lager 1. Angiolo und Martin, die neben uns im Basecamp lagern, sind bereits dort und haben ein Materialdepot angelegt. Ich bitte die beiden, dass sie mir beim Aufbau des Zeltes helfen. Es stürmt so stark, dass wir zu dritt unter Schwierigkeiten das Zelt aufbauen. Nach 40 Minuten ist es einigermaßen abgespannt, aber es muss noch optimiert werden. Wenn wir morgen oder in paar Tagen zurückkehren, möchten wir unsere Ausrüstung und unser Zelt wiederfinden und zwar intakt. Utta und ich legen uns ins Zelt und sortieren unsere Ausrüstung. Gleichzeitig nehmen wir eine Auszeit vom Sturm. Wir könnten einfach liegen bleiben, die Hauptsache nicht mehr in den Sturm müssen. Das Aufraffen fällt schwer. Wir steigen gemeinsam in 2 h ab, aber auch im Abstieg ist das Büßereis anstrengend und nervtötend. Im Basecamp kochen wir erstmals in der Apsis, denn niemand hält 24 h am Tag starken Wind mit Sturmböen aus.

22.12.02 (10.Tag)

Es liegt die bislang stürmischste Nacht hinter uns. Es macht einfach mürbe. Entweder steht man im Sturm und hört die Zelte knattern oder man ist windgeschützt im Zelt und von knatternden Zeltbahnen umgeben. Trotz des Sturmes steigen Angiolo und Martin mit ihren beiden Zelten auf. Sie hatten gestern nur ein Materialdepot in Lager 1 angelegt. Die vier Spanier kommen am Nachmittag nach einer Nacht in Lager 1 zurück ins Basecamp. Ihr Basislagerzelt hat der Sturm inzwischen ganz zerfetzt. Sie zahlen nun Miete an den „Commodore“ und schlafen in einem der halbzylinderförmigen Zelte. Uttas Moral sinkt, denn an einen Aufstieg mit Gipfelerfolg ist nicht zu denken. Der im Basislager anwesende Parkranger (Guardaparque) sagt uns, dass der starke „viento pacifico“ weiter anhalten wird, vielleicht noch ein bis zwei Tage. Meine Moral geht auch langsam in die Knie, denn in Gesprächen mit den Spaniern stellt sich heraus, dass alle vier schon mehrfach im Himalaya waren und die beiden Männer auch schon mehrfach erfolgreich an 8000ern. Sie haben irgendwie eine gewisse Gelassenheit, während ich bereits an einen Misserfolg denke. Des weiteren kommt ein Team niedergeschlagen aus Lager 2 zurück. Ihnen hat der Wind in 6000 m Höhe die gesamte Ausrüstung mit Zelt davongetragen. Für die beiden ist der Gipfel nicht mehr erreichbar... In unseren Gedanken taucht die auch im Dezember warme spanische Wahlheimat immer häufiger auf. Warum sind wir eigentlich hier in dieser Steinwüste??

Gegen Abend kommt es dann richtig fett: Gerade als wir unsere Tassen mit heißer Spargelcremesuppe ausgelöffelt haben, gibt es einen lauten Knall. Wir haben plötzlich das Gefühl im Freien zu sitzen. Das Außenzelt unseres Hilleberg Saitaris Zeltes ist auf rund einem Meter aufgerissen. Der Sturm ist inzwischen so stark geworden, dass bis zu walnussgroße Steine wie Geschosse waagerecht durch die Luft rasen. Das Hilleberg-Zelt hat konstruktionsbedingt einige waagerechte Nähte und eine von diesen ist wohl von einem Stein aufgerissen worden. - Utta stemmt sich von innen gegen die Zeltwand, damit das Zelt nicht komplett aufgebläht wird und vom Sturm davon getragen wird. Ich begutachte den Schaden von außen. Da ich schon andere Bergsteiger mit Tape basteln gesehen habe, ist dies auch mein erster Gedanke. Leider haben wir nur ein Minimum an Tape dabei. Ich renne zum Commodore rüber und muss feststellen, dass er bereits eines seiner „Großraumzelte“ abgebaut hat. Immerhin haben sie armdicke Stahlrohrrahmen und dickste Lkw-Plane als Zeltwand. Als ich mich an seinem Zelt bemerkbar mache (was bei so einem Sturm gar nicht einfach ist), schreit er mich nur an, zeigt mir seine fast leere Taperolle und schickt mich von spanischen Schimpfwörtern begleitet zurück in den Sturm. Offensichtlich hat auch er Probleme bei diesem Sturm die Stellung zu halten. Die vier Spanier haben in ihrem angemieteten Zelt trotz des Sturmes Daniels Schimpfwörterhagel gehört und kamen heraus, um zu sehen, wer damit bedacht worden war. Nach meiner Kurzschilderung der Situation kamen die beiden 8000er-Männer mit einer riesigen Taperolle mit. Utta hält noch immer von innen dagegen, während wir drei von außen versuchen den Riss zu kleben. Bei diesen niedrigen Temperaturen und dem permanenten Sturm hält auf der versandeten Zeltbahn das Tape nur minimal. Immer wieder reißt uns alles auseinander. Irgendwann hält es notdürftig. Wir deponieren zwischen Außen- und Innenzelt eine unserer vier Isomatten, um uns etwas vor dem Sturm zu schützen. Die Spanier und auch wir sind besorgt, ob unsere Zelte in Lager 1 überhaupt noch stehen. – Was machen eigentlich Angiolo und Martin in Lager 1? Zurückgekommen sind die beiden bislang nicht.

Während ich am Abend im Schlafsack liegend über unsere Existenz nachdenke, kommt mir eine eigentlich völlig triviale Idee. Wir haben Nähzeug dabei und der Zeltbeutel bietet genügend Flickenmaterial, denn er ist aus dem selben Ripstop-Nylon wie das Außenzelt. Beruhigt sinke ich den Schlaf.

23.12.02 (11.Tag)

Am Morgen ist mein erster Gedanke, dass wir unser Zelt nähen können. Ich teile es Utta mit. Erst danach bemerke ich, dass der Sturm beinahe ganz verschwunden ist. Nach dem Frühstück bauen wir das Zelt ab und Utta näht im Zelt der Spanier so gut wie es die zur Verfügung stehenden Fäden erlauben. Währenddessen bereite ich alles für einen Aufstieg ins Lager 1 vor. Ich hole Wasser, fülle Benzin um usw. Gegen Mittag bauen wir unser Zelt wieder auf und spannen es wieder sorgfältig ab. Erstmalig bewegen wir uns im Basislager ohne Daunenjacke. Es wirkt geradezu sommerlich. Wir betreiben Körperpflege. In unseren Gesprächen kommt heraus, dass Utta den Gipfel für sich bereits abgeschrieben hat. Sie hat genug von der Quälerei, der Kälte, dem Sturm und sie möchte nicht in größerer Höhe noch größere Qualen erleiden. Ich hoffe natürlich, dass das ein üblicher Lagerkoller ist und ihre Motivation wieder steigt. Wir packen unsere Rucksäcke so, dass sie in jedem Fall zum Gipfel gehen kann, aber sie möchte mich nur bis Lager 1 begleiten. Übrigens kann ich mir derzeit auch keine weiteren Sturmnächte in exponierter Lage vorstellen und der Gipfelgang erscheint sehr weit entfernt. Ich habe mir aber vorgenommen, nur noch in ganz kleine Etappen zu denken. Morgen steigen wir zunächst ins Lager 1 auf und hoffen, dass dort noch unser Zelt steht.

Kleine Bilanz nach 4 Tagen im Basislager:

  • 3 Amis haben den Polengletscher abgebrochen und den Gipfel über die Route „Falso de Polacos“ erreicht (siehe oben); die einzigen Gipfelgänger bislang;
  • 4 Personen per Heli evakuiert, 3 mit Lungenödem, eine mit Erfrierungen; zwei kannten wir vom Anmarsch ins Basecamp;
  • ein Team hat Zelt und Ausrüstung in Lager 2 (6000 m) durch Sturm verloren;
  • unser Basislagerzelt hat auch bereits der Wind ausgeschlitzt.

24.12.02 (12.Tag)

Meine Herzfrequenz liegt bei 44, ein beruhigender Wert. Um 8.00 Uhr stehen wir auf und nach dem Frühstück melden wir uns beim Commodore Daniel ab. Er wünscht uns „buen suerte“ (viel Glück). Heute erscheint mir der Aufstieg brutaler als beim letzten Mal. Der Rucksack ist wohl schwerer (Schlafsack, Isomatten, Essen...) und der gestrige warme Tag hat den Boden und das Büßereis angetaut. Alles ist in Bewegung. Nach 5 h erreichen wir Lager 1. Unser Zelt steht unverändert im Wind. Utta hat sich beim Aufstieg sehr gut gefühlt und dadurch neuen Aufschwung bekommen. Ich hingegen war bei der Ankunft auf 4950 m total platt. Meine Lendenwirbelsäule und die seitliche Oberschenkelmuskulatur waren während des Aufstiegs ständig durch den Beckengurt unter Druck und fühlten sich jetzt nicht gut an.

Angiolo und Martin hatten auch eine spannende Geschichte parat: Am Abend, an dem im Basecamp unser Zelt aufriss, hatten die beiden ihre Probleme hier in Lager 1. Zuerst versuchten sie das grüne VauDe-Zelt aufzustellen, doch im Sturm brach der Kunststoff-Connector, der die beiden Zeltstangen am höchsten Punkt zusammenhält. Das zweite VauDe-Zelt ließ sich im stärker werdenden Sturm gar nicht aufstellen, so dass die beiden die Nacht in unserem Zelt verbringen mussten. Erst am nächsten Tag konnten das noch intakte Zelt aufbauen. Heute waren sie in Lager 2 (6000 m) und haben ein Materialdepot angelegt. Ich rede mit den beiden, ob ich mich ihnen eventuell anschließen kann. Sie sind prinzipiell einverstanden. Abends hocken Utta und ich im engen North Face Mountain 25, welches unser Hochlagerzelt ist. Es hat sich bereits in Peru als sturmstabiles Zelt bewährt. Mein Puls liegt bei 54.

25.12.02 (13.Tag)

Die erste Nacht auf 4990 m war angenehmer als erwartet. Ab 7.30 h brennt die Sonne auf unser Zelt. Wir bleiben noch eine halbe Stunde liegen und beobachten das Thermometer. Als es +15°C anzeigt stehen wir auf. Draußen ist es natürlich deutlich ungemütlicher, trotz der Sonne. Mit Utta geht es auf und ab. Gestern war sie noch voller Enthusiasmus, heute ist sie wieder niedergeschlagen. Kopfschmerzen haben wir beide, aber Utta hatte die für größere Höhen typische Atemnot in der Nacht. Sie schätzt, dass es 15 bis 20 Mal aufgetreten ist. Meine morgendliche Mattigkeit und die Kopfschmerzen verlieren sich nach einer Aspirin schon während des Frühstücks. Utta möchte heute nicht weiter aufsteigen und lieber in Camp 1 bleiben. Um 10.30 Uhr starte ich mit Ausrüstung und Essen Richtung Camp 2. Die vier Spanier waren gestern auch in Lager 1 eingetroffen und steigen heute zu viert mit einem ihrer beiden 2 (bis 3) Personen-Zelte zu Lager 2 auf. Sie haben die Absicht zu viert in dieser Dackel-Garage zu schlafen. Angiolo und Martin sind ebenfalls unterwegs. Bis auf das erste Teilstück gehen Angiolo und ich zusammen. In den beiden Pausen, in denen wir ein bisschen trinken und essen, unterhalten wir uns sehr nett, so dass ich den Aufstieg als angenehm und harmonisch empfinde. Nach bereits 3,5 h erreichen wir Camp 2 in knapp 6000 m Höhe. Unser Platz liegt etwas höher als der übliche Lagerplatz, der sich im Schutz eines Felsriegels befindet. Wir haben dafür eine phantastische Aussicht auf den Polengletscher, so dass ein Routenstudium vom Zelt aus möglich ist. Dafür stürmt es aus allen Richtungen. Nach fast zwei Wochen bin ich erleichtert und begeistert endlich auf „die andere Seite“ der Anden schauen zu können. Die immer gleiche Perspektive in der Steinwüste der Ostflanke ist irgendwann zermürbend. Ab etwa 5350 m ist der Blick erstmalig frei. Es ist erstaunlich, wie schmal die etwa 7200 km lange Gebirgskette der Anden an der Stelle ihrer maximalen Höhe ist. Ein paar Minuten von unserem Lager entfernt haben sich die vier Spanier niedergelassen. Ich besuche sie und helfe noch ein wenig beim Zeltaufbau. Anschließend bauen Angiolo, Martin und ich ihr gelbes VauDe-Zelt auf. Bei diesem Sturm ist es sogar zu dritt problematisch. Eine kleine Unachtsamkeit kann bereits zum Verlust des Zeltes führen. Morgen wollen die beiden einen Erkundungs- und Ruhetag einlegen. Ich deponiere meine Ausrüstung und steige ab. Martin hat beim letzten Abstieg 45 Minuten von Lager 2 bis Lager 1 gebraucht. Da ich mich topfit und etwas überschwänglich fühle, versuche ich die Zeit zu unterbieten. Nach 39 Minuten trabe ich in Lager 1 ein. Mein Enthusiasmus und meine Zuversicht sind noch weiter gestiegen. Im Lager berichte ich Utta von allen Details und versuche sie zu überzeugen, dass sich ein Aufstieg auf jeden Fall lohnen wird. Ich bin völlig durchgeknallt. Utta kennt diese „Anfälle“ von Hypermotivation bei mir und weiß, dass ich dann äußerst viel Energie freisetzen kann. Sie bleibt skeptisch. In der Nacht kommt Sturm auf.

26.12.02 (14.Tag)

Der heutige Tag ist sehr schwierig, vielleicht sogar der schwierigste der ganzen Expedition. Aufgrund des Sturmes sind wir unsicher, ob ein Aufstieg zu Lager 2 sinnvoll ist. Die Restgruppe der kommerziellen Expedition des AAI (von 12 auf vier Kunden geschrumpft) steigt auf, um ihr nächstes Hochlager auf etwa 5400 m (etwas höher als der Sattel) einzurichten. Wir starten nach einigem Zögern um 10.30 Uhr. Es ist eine Tortur, denn es ist mit den schweren Rucksäcken problematisch das Gleichgewicht zu halten. Utta fühlt sich in den Beinen weich und kraftlos. Am Sattel zwischen Aconcagua und Ameghino wird der Sturm unerträglich. Wir ziehen über unsere Goretex-Montur unsere Daunenjacken und –hosen, damit wir nicht völlig auskühlen. In solchen Momenten denke ich manchmal an den Werbeslogan zur Winddichtigkeit von Goretex. Hier in diesem Sturm fühlt man sich nicht mehr geschützt, sondern eher ausgeliefert. Utta hält den psychischen und physischen Druck, den der Sturm ausübt, kaum noch aus. Ich hingegen will nur hoch, um dann wieder im schützenden Zelt zu liegen. Etwas weiter oben beneidet Utta die Truppe vom AAI, denn sie haben ihre Zelte fast fertig aufgebaut. Ihr würde diese kurze Etappe wohl auch reichen. Für diese Bergsteiger bedeutet es aber, dass unser Lager 2 ihr Lager 3 wird und dann noch ein Lager 4 auf 6400 m folgen wird. Im Klartext heißt das, dass sie mehr als doppelt so viele Nächte in großer Höhe, im Sturm, in der Kälte aufhalten müssen. Ich möchte morgen auf den Gipfel steigen, schnellst möglich hinunter ins Basecamp und dann in ein paar Tagen bereits wieder in Mendoza 30°C, Sonne, Kaffee und Steak genießen. Einfach nur weg von diesem unwirtlichen Berg. Utta geht es nicht anders, nur mit dem Unterschied, dass sie direkt weg will, auch ohne den verdammten Gipfel. Auf etwa 5500 m Höhe fällt dann die Entscheidung: Utta steigt wieder ab. Wir packen die Rucksäcke um, so dass ich optimal versorgt bin. Sie hingegen geht ohne Zelt und ohne Kocher hinunter. Ihr fehlt die Kraft bis ins Basislager abzusteigen, wo sie unser anderes Zelt hätte und sich vom Commodore versorgen lassen könnte. Also vereinbaren wir, dass sie bis ins Lager 1 absteigt, dort das verbliebene Zelt der Spanier nutzt und sich von den beiden unglaublich netten Kanadiern Josh und Kevin bekochen lässt. Wir haben die beiden bereits im Basecamp kennengelernt. Sie sind wahre Haudegen. In Kanada leben sie fast immer bei Minustemperaturen und sind dem Wind und der Kälte gegenüber sehr gelassen. Sie planen eine Überschreitung des Aconcagua zum Plaza de Mulas, doch zuvor möchte Kevin über den Polengletscher mit Skiern abfahren. Sie schleppen Rucksäcke, die vom Volumen und vom Gewicht unübertroffen sind. Natürlich bewegen sie sich damit schwerfälliger und müssen mehrere Depotanstiege durchführen, aber ihnen macht die Kälte offensichtlich nichts aus und sie sagen uns, dass sie mit ihrem Essen 2 Wochen oben am Berg überleben können. Am Denali (Mount McKinley) waren sie mit der gleichen Gelassenheit erfolgreich unterwegs. Beeindruckend. Offensichtlich haben uns die über 4 Jahre unter der andalusischen Sonne verweichlicht.

Es folgt ein sehr schwerer Abschied. Utta steigt Richtung Lager 1 ab und ich quäle mich zu Lager 2 hoch. In solchen Momenten verabschiede ich nicht nur meine ideale Kletterpartnerin, sondern auch meine Lebensgefährtin. Es bleibt immer das Gefühl, dass es falsch war sich zu trennen. Für uns ist dies nicht die erste Situation, in der einer verzichtet, um dem anderen den Gipfel zu ermöglichen.

Nach insgesamt 5 h erreiche ich Lager 2. Angiolo und Martin ziehen sich gerade ihre Kletterausrüstung an und wollen den Polengletscher im unteren Teil erkunden. Ich bitte sie, dass sie mir zunächst beim Zeltaufbau helfen. Zu dritt benötigen wir über 1 h um das Zelt sturmsicher abzuspannen. Wir kämpfen gegen den Sturm bis zur Erschöpfung. Danach sind Angiolo und Martin auch die Lust auf Erkundung des Gletschers vergangen Wir verziehen uns in unsere Zelt, um eine Auszeit vom Sturm zu nehmen. Gegen 18.00 Uhr kommen die beiden Kanadier Josh und Kevin herauf. Sie wollen den ersten Teil ihrer Ausrüstung deponieren. Wir binden ihre und meine Packsäcke aneinander, damit der Sturm nichts davontragen kann. Mit Utta haben die beiden bereits alles besprochen. Von mir fordern sie geradezu, dass ich mich auf den Gipfelgang konzentriere, denn schließlich wäre meine Frau bei ihnen bestens versorgt. Obwohl Josh auch schon an anderen Bergen unterwegs war, ist er sehr beeindruckt von der Größe des Aconcagua. Selbst hier, nur noch 1000 Hm unterhalb des Gipfels, sieht dieser Berg noch gigantisch aus. Als die beiden wieder absteigen wollen, schicke ich Grüße an Utta. Sie sollen ihr sagen, dass ich mich trotz der 6000 m Höhe gut fühle und morgen den Gipfel versuchen werde.

Die Spanier sind heute am Polengletscher umgekehrt. Sie wollen nun auf die Route „Falso de Polacos“ ausweichen. Das bedeutet die dritte Nacht zu viert in diesem kleinen Zelt. Spanish hardcore. - Angiolo, Martin und ich besprechen uns in meinem Zelt. Wir kochen in der Apsis und kauern im Innenzelt. Morgen wollen wir den Gipfel versuchen, aber auf welcher Route? Unabhängig voneinander haben wir aus dem warmen Wohnzimmer den direkten Polengletscher geplant gehabt. Als Ausweichroute liegt der übliche Weg der Erstbegeher über linken Rand des Polengletschers nahe. Auf dem sind heute die Spanier umgekehrt. Es scheint so, dass die sicherlich leichtere „Falso de Polacos“ momentan die einzige Chance auf den Gipfel bietet. Und um diesen Gipfel zu reichen, sind wir um die halbe Welt geflogen.

Zu Hause bekam ich bereits Schüttelfrost, wenn ich nur den Begriff „Normalweg“ hörte. Ich glaubte, dass 25 Jahre Unterwegsein in den Alpen, die Besteigungen von über 30 4000ern in den Westalpen, einigen 5000ern, einem 6000er in Peru völlig ausreichen, um eine Eisflanke von beinahe 1000 m Höhe auf einer Höhe zwischen 6000 und 7000 m zu durchsteigen. Dazu wusste ich auch, dass die Vegetationsarmut, der ständige Wind und die für uns Bergsteiger ungünstige Atmosphärenschichtung diesen Berg physisch und psychisch härter machen als vergleichbare Berge im Himalaya oder anderswo. Im kleinen Infoheft der Parkverwaltung nennen sie den Aconcagua sogar „kleinen 8000er“. PR-Gag oder realitätsnah? - Ich bin angesichts der Verhältnisse dankbar, dass wir den Berg umrunden können, um oberhalb von 6400 m auf die Normalroute zu treffen. Ohne diese Möglichkeit wären wir wohl alle ohne Gipfelbesteigung nach Hause gefahren.

27.12.02 (14.Tag) Gipfeltag

Um 4.00 Uhr piept der Wecker. Angiolo und Martin beginnen auch zu rumoren. Allerdings rufe ich sie so laut ich kann, denn das Knattern der Zelte übertönt bzw. verfälscht fast jedes Geräusch. Doch sie sind wach. Wir müssen noch vier Liter Wasser aus Schnee produzieren, damit jeder von uns zwei Liter dabei hat. Zwei Liter hatten wir bereits gestern Abend geschmolzen und in Thermosflaschen gefüllt. Leider dauert das Schneeschmelzen fast zwei Stunden, geplant war eher eine Stunde.

Die Nacht war schrecklich. Es stürmte ununterbrochen und immer wieder stieg die Angst hoch, dass ich mit dem Zelt davongetragen würde. Hinzu kam beißende Kälte. Ich hatte – wie immer – nur T-Shirt und Unterhose im Schlafsack an. Das war ein bisschen zu wenig. Zum Wechseln der Kleidung war ich zu träge. Aufgrund der Kälte zog ich in der Nacht die Kapuze meines Schlafsacks immer weiter zu. Die Folge waren einige Erstickungsanfälle. Jedes Mal, wenn dies auftrat, riss ich die Kapuze panikartig auf und rang 3-4 Mal tief nach Luft. Während der Nacht wuchs der Zweifel, ob eine Nacht auf etwa 6000 m Höhe reichen würde einen fast 7000 m hohen Gipfel zu erreichen. Für meine beiden Nachbarn war es die zweite Nacht auf dieser Höhe.

Angiolo machte irgendwann laute hämmernde Geräusche. Ich nahm an, dass er das Zelt noch besser sichern wollte. Später erzählte er mir, dass seine Innenschuhe nicht mehr in die Schalenschuhe passen wollten und er sie hineingehämmert hat. Dies passiert bei geschlossenzelligen Innenschuhen häufiger, da der verminderte Luftdruck und der jetzt höhere Druck in den Schaumstoffzellen der Isolierung zu einem Aufblähen des Innenschuhs führt. Ruckzuck ist der Schuh eine oder zwei Nummern zu klein.

Wir kauern wieder zu dritt in meinem Zelt. Unser Frühstück fällt sehr bescheiden aus, da das Schneeschmelzen die gesamte Zeit in Anspruch nimmt. Ohne Getränk bekommt keiner von uns etwas runter. Für jeden bleiben ein paar Schlucke Tee. Für mich sind das schlechte Voraussetzungen für Höchstleistungen, denn ohne Nahrung bin ich schnell unterzuckert. Um 6.00 Uhr bereiten wir den Aufbruch vor. Ich komme zum Glück problemlos in meine Bergschuhe, auch wenn sie sehr eng sitzen. Eigentlich will ich noch schnell meinen Enddarm entleeren, aber da Martin und Angiolo schon mit den Hufen scharren, verkneife ich mir das. Bekleidet sind wir mit der üblichen Fleeceschicht, Goretex-Hose, Goretex-Jacke, Daunenjacke und dicken Daunenhandschuhen. Während ich mich noch mit steifen Knochen quäle, legt Martin ein Tempo vor als wären wir an einem 3000er unterwegs. Zumindest kommt es mir so vor. Ich lasse mich sehr früh zurückfallen, da mir solche Blitzstarts den ganzen Tag vermiesen können. Angiolo bleibt auch bald zurück und wartet auf mich. Darüber freue ich mich, da ich den Aufstieg mit ihm von Lager 1 zu Lager 2 bereits sehr angenehm fand. Martin geht weiter sein eigenes Tempo und wartet nicht mehr, und das, obwohl er mit Angiolo gemeinsam zum Aconcagua gekommen ist. Ich bin so etwas nicht gewöhnt, denn mit Utta oder Freund Thomas hätte das so nie stattgefunden. Wir wären zusammengeblieben. – An einer vereisten Felspassage ziehen wir die Steigeisen an. Dabei schlage ich mir einen Fingerknöchel der rechten Hand auf. Obwohl es nur eine oberflächliche Verletzung ist, schießt das Blut heraus als wäre ein größeres Gefäß getroffen worden. Ich verpflastere es so gut es geht. Während einer kurzen Pause esse ich einen „Powerbar harvest“. Dieser für mich sehr schmackhafte Riegel löst bereits nach etwas mehr als der Hälfte Übelkeit aus. Ich würge trotzdem den Rest hinunter. Irgendwie müssen ein paar Kohlenhydrate in den Körper. Unser Tee schmeckt auch ekelhaft. Ich hatte mich gestern Abend dazu überreden lassen, Kakao zu kochen. Es blieben danach Reste im Topf zurück, die beim weiteren Schneeschmelzen anbrannten. Dadurch hatte das danach gekochte Wasser immer diesen faden Beigeschmack. Widerlich. Irgendwann erreichten wir auf etwa 6400 m den sogenannten Normalweg, der vom Basislager „Plaza de Mulas“ heraufführt. Andere Bergsteiger sehen wir hier nicht, obwohl wir hervorragendes Wetter haben, abgesehen vom ständigen Sturm. Ein steiler Aufschwung führt zu den Ruinen der Independencia-Biwakschachtel herauf. Ohne Pause geht es weiter hinauf bis wir einen riesigen Geröllkessel zu sehen bekommen. Der Sturm wird noch stärker und unerträglicher. Ein Freund von Angiolo hat sich hier vor ein paar Jahren Erfrierungen im Gesicht zugezogen. Ich kann dies direkt nachvollziehen, denn niemals zuvor habe ich einen so kalten und aggressiven Wind/Sturm erlebt. Wir queren nahezu waagerecht in diesen Geröllkessel. Auf halber Strecke dieser Querung steht ein 8-10 m hoher und etwa 3-4 m breiter Felsturm, den die Erosion bislang verschont hat. Er ist die einzige Möglichkeit eine Auszeit vom Sturm zu nehmen. Wir nutzen die Möglichkeit für eine kurze Trinkpause. Allerdings ist es hier im Windschatten auch sehr kalt, da die Sonne diesen Fleck noch nicht erreicht hat. Der anschließende diagonal ansteigende Pfad gibt mir vorläufig den Rest. Hätte Angiolo hier vorgeschlagen auf den Gipfel zu verzichten und zurückzugehen, dann hätte ich wohl nicht allzu lange gezögert um zu zustimmen. Ich stelle mein Tun so stark in Frage, wie ich das noch niemals an einem Berg getan habe. Was mache ich eigentlich an diesem lebensverachtenden Ort? Bewegung ist mangels Sauerstoff eine Qual, pausieren lässt den Körper unerträglich schnell auskühlen. Ein sofortiger Abstieg würde die Qualen verringern und bald beenden ... Trotz der Qualen denke ich mir, dass die berühmt-berüchtigte „La Canaleta“, das steile Geröllfeld, das zum Gipfel führt, gar nicht so wild ist. Die Beschreibungen, die ich gelesen habe, hatten mich Schlimmeres befürchten lassen. Also gibt es doch noch den Willen zum Gipfel zu gehen!?! Hoffnung kommt erneut auf, zumindest bis sich der Blick weiter nach oben öffnet. Diese riesige Geröllhalde wird nach oben hin schmaler und viel, viel steiler, unglaublich steil. Das ist die eigentliche Canaleta. Dieser Anblick soll schon manche Bergsteiger zur Umkehr bewegt haben. Uns motiviert, dass der rechte Rand der Canaleta auf einem schmalen Streifen schneebedeckt ist, so dass ein besseres Vorankommen möglich sein könnte. Wir suchen eine windgeschützte Stelle zum Pausieren – vergeblich. Einen solchen Ort gibt es hier nicht. Wir setzen uns auf einen Felsblock und trinken. Der Höhenmesser zeigt 6680 m. d.h. noch immer trennen uns rund 300 Hm vom höchsten Punkt. Allzu lange darf man nicht pausieren, denn sonst bleibt man hier für immer sitzen. Während unserer Pause mache ich merkwürdige Beobachtungen: Die hier herumirrenden Menschen – es sind die vier Spanier und drei bis vier andere Bergsteiger – sind bis auf wenige Quadratzentimeter Haut völlig vermummt, um sich vor der Kälte und dem Wind zu schützen. Es sind sich in Zeitlupe bewegene, schnaufende, keuchende und manchmal taumelnde Wesen, die nur noch sich selbst wahrnehmen, andere nicht mehr erkennen bzw. die Anwesenheit anderer nicht einmal mehr wahrnehmen. Es ist ein seltsamer Ort voller Leute, die sich auf Egotrips befinden. Die vier Spanier, die wir seit des Anmarsches ins Basislager kennen, gehen auch ohne Reaktion an uns vorbei. Wir nehmen nun die letzte Etappe zum Gipfel in Angriff. Es wäre eine Lüge, wenn ich jetzt behaupten würde, dass die Gedanken an eine sofortige Umkehr verflogen wären. Üblicherweise steigt meine Motivation noch einmal rapide an, wenn der Gipfel erreichbar scheint. An diesem Berg bleibt das aus bzw. setzt erst ein paar Minuten unterhalb des Gipfels ein, als ich sicher bin, dass ich ihn erreichen werde. Die von unten anvisierten Schneefelder am rechten Rand der Canaleta haben eine Steilheit von schätzungsweise 40 bis 50° und lassen sich mit Steigeisen und Skistöcken recht gut gehen. Wir holen die Spanier wieder ein. Sie haben auch zu kämpfen. Plötzlich spricht mich einer von ihnen an. Guiseppe will nur wissen, ob ich es wirklich bin und wie es mir geht. Er wirkt fitter als alle anderen, aber er war auch schon mehrfach an 8000ern unterwegs und teilweise am Gipfel. Jeder benötigt hier all seine Aufmerksamkeit für die nächsten 2 bis 20 Schritte. Irgendwann hebe ich den Kopf und schaue in die riesige vereiste Südwand des Aconcagua. Wo bin ich? – Wir haben den Guanaco-Rücken, den Verbindungsgrat zwischen Nord- und Südgipfel erreicht. Ein überwältigender Ausblick, der gleichzeitig signalisiert, dass der Gipfel ganz nahe, d.h. erreichbar ist. Nach rund 7 h stehen Martin, Angiolo und ich alleine auf dem Gipfel des Aconcagua. Die 6962 m sind endlich erreicht und es ist unverständlicherweise völlig windstill. Nun stehe ich auf dem höchsten Punkt Amerikas, emotionslos, lethargisch und denke fast nur an den langen Abstieg. Noch nie hat mich das Erreichen eines Gipfels in 25 Jahren Alpinismus so kalt gelassen wie hier. Im Moment des Erreichens des Gipfels bin ich nicht zur Freude fähig, gar nicht. Ein befremdliches Gefühl. Wir machen Fotos und trinken etwas. Ich würge mir eine Packung Powergel hinunter, feste Nahrung ist undenkbar. Noch nie war das Hans-Kammerlander-Zitat „Ein Gipfel gehört dir erst, wenn du wieder unten bist - denn vorher gehörst du ihm.“ für mich so bedeutsam wie hier. Selbst beim Ruhen empfinde ich die Luft auf dem Gipfel als so dünn, dass ich mit Grauen an den beschwerlichen Abstieg denke. Mein größter Wunsch ist, dass ich von diesem Berg wieder gesund herunterkomme. Durch die Qualen des Aufstiegs, die Kälte und den Sturm vergesse ich fast, dass wir einen großartigen Gipfeltag mit schönstem Wetter erleben. Der Blick über die Anden ist unbeschreiblich; ich glaube sogar den Pazifik erahnen zu können. Obwohl wir in der Sonne sitzen zeigt das Thermometer ca. –25 °C. Da ich Angiolo und Martin als schneller einschätze, möchte ich vor ihnen absteigen, damit ich die beiden noch hinter mir weiß, falls ich einen Einbruch bekommen sollte. Nach rund 20 Minuten verlasse ich den Gipfel, während die Spanier ihn kurz zuvor betreten haben. Der Abstieg durch die Canaleta fällt mir leichter als erwartet. Das führt zu einem inneren Spannungsabbau. Ich genieße das wunderbare Gefühl des Bergabgehens und schaue mir die wenigen noch im Aufstieg befindlichen Gestalten an. Sie tun mir beinahe leid. Am Platz unserer letzten Pause (6680 m) reiße ich mir die Hosen vom Leib und erledige das Geschäft, welches sich schon um 6 Uhr in Lager 2 anbahnte. Inzwischen ist 14.30 h und von Angiolo und Martin ist noch nichts zu sehen. Ich bin ein wenig in Sorge, aber sie sind hoffentlich gemeinsam im Abstieg. Zügig steige ich weiter ab und verspreche mir selbst, dass ich diesen ungastlichen Ort in diesem Leben nicht noch einmal aufsuchen werde. Ich lege eine weitere Pause an der verfallenen Independencia-Hütte ein. Auch die vier Spanier pausieren hier. Ich setze mich nicht zu ihnen, da ich mich zu schwach zum Reden fühle, vor allem wenn es nicht in meiner Muttersprache Deutsch ist. Rückblickend kommt mir das sehr seltsam vor. Warum sind die Spanier bereits hier und von Angiolo und Martin fehlt jede Spur? – Der Sturm ist kaum auszuhalten. Ein wenig Windschatten zu haben, bedeutet, dass man sich mit dem Rücken zum Sturm setzt und im Schutz der Kapuze etwas trinkt und isst. Mehr als Powergel und lauwarmen Tee würge ich nicht hinunter. Bevor die Spanier losgehen, ist es wieder Guiseppe, der sich nach meinem Wohlbefinden erkundigt. Wir reden kurz miteinander. Er ist erleichtert als ich ihm sage, dass ich schon ohne Hilfe herunterkommen werde. Sie haben in ihrem Vierer-Team genug Sorgen, denn gerade die beiden Frauen verlieren immer mehr an Durchhaltevermögen. Kurze Zeit später raffe ich mich auch auf, um weiter abzusteigen. Alleine wieder aufzustehen ist ein Kraftakt. Ich habe in den vielen Jahren des Unterwegsseins schon heftige Erschöpfungszustände erlebt, aber keiner kommt dem jetzigen auch nur nahe. Da es hier keinen Windschatten gibt, ist eine Pause, d.h. ein Sitzen bleiben unattraktiv. Mich hält vor allem die Vorstellung hoch, dass es in meinem Zelt windstill und warm ist. Dort möchte ich hin und schlafen. Die Gedanken reichen nur bis Lager 2 hinunter, denn dort ist der einzige Schutz vor Wind und Kälte zu finden. Alles andere ist noch ferne Zukunft. Als ich den entscheidenden Punkt erreiche, an dem man nach rechts zurück in die Ostflanke quert, warte ich auf Angiolo, denn ich sehe ihn in seiner leuchtend gelben Jacke kommen. Gemeinsam gehen wir weiter. Martin ist insgesamt 1¾ Stunde auf dem Gipfel geblieben. Er wollte möglichst lange oben bleiben. Wir holen die Spanier wieder ein. Marta sitzt im Schotter und weint. Sie ist völlig fertig und verflucht diesen Berg. Am Gipfel war sie im Gegensatz zu mir noch euphorisch und rollte den Wimpel ihrer spanischen Heimatprovinz aus und jetzt war sie physisch und psychisch völlig am Ende. Sie weigerte sich immer wieder weiterzugehen. Guiseppe versuchte es mit allen Tricks, aber sie ließ ihn teilweise auch nicht mehr an sich heran. Von der Ferne sehen wir irgendwann unsere beiden gelben Zelte. Es ist ein wunderbares Gefühl, dass unsere Domizile noch stehen. Um 16.30 Uhr torkeln wir in unser Lager 2. Nach 7 h Aufstieg haben wir nur 3,5 h für den Abstieg gebraucht. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Zwei von den vier Spaniern steigen ins Lager 1 ab, damit sie nicht noch eine Nacht zu viert in ihrem kleinen Zelt schlafen müssen. Angiolo und ich legen uns ins Zelt. Ich bin so erschöpft, dass ich nur die Schuhe und die Daunejacke ausziehe, danach nicke ich direkt ein. Da die Sonne aufs Zelt brennt ist es vergleichsweise warm. Das Knattern des Zelts lässt mich immer wieder hochschrecken. Nach jedem weiteren Kleidungsstück, das ich ausziehe, schlafe ich direkt wieder ein. Gegen 18.00 Uhr trudelt auch Martin ein. Auch er legt sich direkt schlafen. Abends sitzen wir wieder zu dritt in meinem Zelt. Anfangs kann ich nur trinken, später dann esse ich eine 2-Personen-Packung gefriergetrocknetes Essen fast allein. Mein Zustand macht mir Sorgen, denn ich bin zurück auf 6000 m Höhe und fühle mich unwohl. Ich habe Angst akut höhenkrank zu sein. Vielleicht war es doch unvernünftig nur eine Nacht auf 6000 m zu verbringen und direkt zum Gipfel zu gehen. Am liebsten wäre ich weiter abgestiegen ins Lager 1 (4990 m). Aber an diesem Abend fehlt mir die Kraft noch zusammenzupacken und den überladenen Rucksack hinunterzutragen. Ich nehme noch Aspirin gegen den Kopfschmerz und hoffe, dass es mir morgen früh besser geht. Vielleicht ist es die Erschöpfung und die Dehydrierung, die mir so zusetzen. Wo mag Utta jetzt wohl sein? Ich falle in eine Art Bewusstlosigkeit. Nachts muss ich dreimal raus. Der Sturm scheint hier niemals nachzulassen und kommt wie zuvor aus allen Richtungen. Der Urin wird so schnell zum Aerosol, dass er leider nur zum geringsten Teil am Boden landet. Ein windstiller Ort ist hier einfach nicht existent.

28.12.02 (16.Tag)

Die vergangene Nacht habe ich nicht gefroren, denn ich habe die Fleecehose und –jacke im Schlafsack anbehalten. Es ist wohl zwischen 8.00 und 8.30 h als mir Martin den ersten Schnee in die Apsis reicht. Wieder rauscht der Kocher und mein Tag beginnt mit Schneeschmelzen. Währenddessen packe ich im Zelt zusammen. Es ist erschreckend, dass ich so viel verpacken muss. Teilweise habe ich Proviant für zwei Personen dabei und durch die ständige Appetitlosigkeit habe ich sehr wenig verbraucht. Angiolo und Martin kühlen beim Packen so stark aus, dass sie nur noch absteigen wollen und auf ein Frühstück in meinem Zelt verzichten. Ich hätte mir einen Teil des Schneeschmelzens sparen können. Als ich das Zelt verlasse, habe ich bereits einen Monster-Rucksack. Im üblichen Sturm bauen wir zu dritt mein Zelt ab. Als ich alles verpackt habe, sind die rund 110 Liter des Rucksacks ausgeschöpft. Auf der Deckeltasche befindet sich noch der 40-Liter- Gipfelsturmrucksack und seitlich jeweils eine Isomatte. Vor dem Losgehen bin ich noch halbwegs optimistisch, denn beim letzten Abstieg brauchte ich nur 39 min. Mit dem Rucksack wird es wohl etwas länger dauern... 10 Minuten nach Verlassen des Lagers liege ich das erste Mal wie ein Käfer auf dem Rücken. Der Sturm hat mich beim Absteigen einfach um- und weggeblasen. Die große Angriffsfläche und die ungünstige Schwerpunktlage lassen mir trotz des Skistockeinsatzes keine Chance. Das Aufstehen ist fast unmöglich. Dieser Vorgang wiederholt sich während des Abstiegs viel zu oft. Irgendwo erscheint mir mein eigenes Handeln lächerlich, aber ich fühle mich stellenweise wie eine leere Colaflasche aus Kunststoff, die Spielball kleiner Windböen ist. Während dieser Kämpfe bemerke ich, wie sehr mich der Gipfelgang erschöpft hat. Ich bin ausgelaugt und teilweise einfach antrieblos. Mein Abstieg dauert 2 h und ich hoffe, dass Utta noch in Lager 1 ist, damit sie mir einen Teil meiner Last abnehmen kann. In Lager 1 erfahre ich aber, dass Utta gestern ins Basislager abgestiegen ist. Angiolo sitzt auf einem Felsen und versucht verzweifelt seine in Lager 1 deponierten Sachen in seinen (zu kleinen) Rucksack zu bekommen. Martin hat sich wohl seinen Teil schon genommen und ist alleine abgestiegen. Ich flöße mir zwei weitere Powergel-Portionen ein. Feste Nahrung verweigere ich. Angiolo drängt irgendwann, dass ich schon Richtung Basecamp absteige, auch wenn er noch nicht alles verpackt bekommen hat. Ich bin so müde, dass ich ihm den Rest meines Lebens beim Rucksack ein- und auspacken zuschauen könnte. Schließlich raffe ich mich nach 20 min. auf und steige alleine ab. Viel lieber wäre ich mit ihm zusammen abgestiegen, so wie ich es auch mit meinen üblichen Kletterpartnern Utta und Thomas machen würde. Man passt aufeinander auf, motiviert sich und unterhält sich ein wenig. Bereits 5 Min. nach Verlassen des Lagers verliert man den Blickkontakt mit Lager 1, da es einen steilen Firnhang hinunter geht. Nach einigen Geröllfeldern kommt man in die Büßereisfelder. Ich habe mich bis dahin oft umgedreht, um zu sehen, ob Angiolo mir bereits folgt. Nichts. Außer mir ist niemand im Auf- oder Abstieg. Die Büßereisfelder sind noch unangenehmer geworden, denn es ist wärmer als vor einer Woche und manche der Eissäulen brechen bei Belastung zusammen und ich mit ihnen. Einmal glaubte ich, dass ich Angiolo kurz gesehen habe. Sicher bin ich mir nicht. Unzählige Male wünsche ich mir eine Planierraupe, um diese schwer zu passierenden Büßersäulen umzumähen. Ein Pfad, ein holperiger Weg, das wäre jetzt angenehm. Weglos stolpere ich weiter. Langsam befürchte ich, dass Angiolo etwas zugestoßen ist. Kraft zurückzugehen habe ich nicht mehr. Warten und rufen sind nutzlos. Manchmal glaube ich Utta von weiter unten zu hören. Kommt sie mir entgegen? – Dehydriert, unterzuckert und erschöpft hört und sieht man manchmal mehr als wirklich vorhanden ist. Nach knapp 3 h ab Lager 1 ist das Basislager nahe. Auf den letzten 10 min. kommt mir Utta entgegen. Sie ruft mich, da sie trotz bekannter Kleidung nicht sicher ist, ob ich es bin. Ich sehe offensichtlich nicht mehr allzu frisch aus ...?! Erst jetzt steigen in mir die Emotionen hoch, jetzt begreife und genieße ich, dass ich ganz oben war. „Mission erfolgreich und gesund beendet“ rauscht mir durch den Kopf. Utta und ich fallen uns in die Arme. Wir waren etwa 54 h voneinander getrennt, mir kommt es wie eine Woche vor. Gemeinsam gehen wir hinab zu unserem Zelt. Martin kommt uns auch entgegen. Neben meinen starken Glücksgefühlen (endlich sind sie da!) habe ich große Sorgen um Angiolo. Ich berichte Utta und Martin davon. Mit dem Fernglas ist Angiolo nicht zu sehen. Nach einigem Zögern steigt Martin ihm ohne Gepäck entgegen. Es ist wohl nach 17.30 h. Später können wir die beiden langsam absteigend mit dem Fernglas sehen. 2½ h nach mir erreichen die beiden das Lager. Martin trägt Angiolos Gepäck. Angiolo hatte sich das Knie verdreht und konnte nur unter Schmerzen weiter absteigen. Ich bin froh, dass nicht mehr passiert ist. - Am Abend genieße ich langsam wieder das erste Essen und rede wohl viel darüber, dass ich in meinem bisherigen Leben noch nie so erschöpft war.

29.12.02 (17.Tag)

Ruhe- und Packtag im Basislager. Nach dem Frühstück verabschieden wir erst die vier Spanier, danach Angiolo und Martin. Das Gepäck der beiden wird morgen zusammen mit unserem auf die Mulis geladen. Wir genießen einen sonnigen Tag mit Windstille (!!) am Nachmittag. Jetzt nach dem Gipfel wirkt dieser Ort sogar ein bisschen gemütlicher. Meine Gedanken fließen noch immer zäh. Die Aufarbeitung der Erlebnisse hat begonnen. Utta freut sich mit mir, aber verständlicherweise möchte sie schnellst möglich auf den Anblick des Aconcaguas verzichten. Auch wenn sie mir meinen Gipfelerfolg gönnt und ihn auch durch ihren Verzicht wahrscheinlicher gemacht hat, so muss sie ihren Misserfolg erst einmal verdauen. Schließlich haben wir uns gemeinsam vorbereitet und sind um die halbe Welt geflogen, um uns an nur diesem einen Berg zu versuchen. Utta tröstet auch nicht, dass 70 % aller Aconcagua-Aspiranten ohne Gipfel nach Hause fahren.

30.12.02 (18.Tag)

Um 7.30 h stehen wir auf und frühstücken. Anschließend bauen wir unser Basislagerzelt ab und den Rest ein. Unsere Mulis sind bereits gegen 9.00 Uhr da, eine Stunde eher als angekündigt. Um 9.30 Uhr stehen Daniel und unser Mulitreiber mit der Federwaage an unseren Sachen. Wir haben noch nicht alles verpackt. Heute ist keine Spur von südamerikanischer Gelassenheit zu spüren. Unser Mulitreiber möchte unser Gepäck heute bis Pampa de Leña bringen und anschließend selbst bis ins Haupttal hinunterreiten, damit er in Los Puquios schlafen kann. Morgenfrüh kommt er dann wieder zu uns herauf.

Um 10.00 Uhr verlassen wir das Basislager und, obwohl mir dieser öde Ort teilweise ziemlich verhasst war, kommt jetzt ein wenig Abschiedsstimmung auf. Nach wenigen Gehminuten bekomme ich erste Probleme. Die Innensohlen meiner Kunststoffstiefel verrutschen ca. 5 cm nach hinten, d.h. hinten scheuert der zu enge Schuh und vorne haben die Zehen einen Hohlraum. Dieses triviale Problem lässt sich auch mit Klebebandstreifen nicht in den Griff bekommen und quält mich die nächsten beiden Tage. Nach einer Stunde sind meine Füße bereits ruiniert. Wir haben uns sagen lassen, dass man üblicherweise in nur zwei Tagen absteigt. Das bedeutet, dass man am ersten Tag vom Basislager über Casa de Piedra bis Pampa de Leña absteigt. Im Aufstieg war dies eine 2-Tages-Etappe. Ich konnte mich von Anfang an nicht mit dieser Idee anfreunden und nun mit diesen Füßen ... Bei der ersten üblen Flussüberquerung rette ich mich mit gewagten Sprüngen über Felsen ans andere Ufer. Utta verweigert das, da es bei mir schon knapp war. Bevor sie sich etwas anderes überlegen konnte, kommen vier Mulitreiber auf ihren Pferden. Utta flirtet mit ihnen auf spanisch und prompt steigt einer ab und überlässt ihr sein Pferd um den Fluss zu überqueren. So macht man das! – Bei einer weiteren Flussüberquerung weiter unten in einem sehr steilen Abschnitt ist der Rio Relinquos bedrohlich schnell. Das vermehrte Schmelzwasser macht die Querung recht heikel. Ich springe zunächst ohne Rucksack, danach wirft Utta mir die Rucksäcke nacheinander zu. Anschließend springt Utta und rutscht am letzten feuchten Block ein wenig ab. Ihr Schwung reicht nicht ganz aus, sie landet mit den Oberkörper auf dem entscheidenden Felsblock, während der Unterkörper (vom Gürtel abwärts) von den braunen Fluten weggerissen wird. Zum Glück konnte ich sie halten. Unser neues Problem sind nun Uttas nasse Socken. Ersatzsocken sind mit den Mulis unterwegs und in nassen Socken läuft man sich auch die Füße kaputt. Weiter unten im Vacas-Tal müssen wir beide unsere Bergschuhe ausziehen und watscheln in Teva-Sandalen durch die Fluten des Rio Vacas. Während unserer Pause in Casa de Piedra fotografiere ich den Aconcagua vor wolkenlosem Himmel ein letztes Mal. Ich könnte noch ewig schauen, Utta will den „scheiß Berg“ nicht mehr sehen. Der zweite Teil unserer Tagesetappe kommt uns wie eine Strafexpedition vor. Gegen 20.00 Uhr erreichen wir mit kaputten Füßen Pampa de Leña. Unsere Ausrüstung ist zum Glück da. Wir bauen in Trance unser Zelt auf, essen und legen uns früh hin. Angiolos und Martins Gepäck soll bereits um 10.00 Uhr in Punta de Vacas sein, damit es von dort direkt zurück nach Mendoza zum Hotel gebracht werden kann. Da es mit unseren Mulis transportiert wird, müssen wir morgen auch früh aufstehen.

31.12.02 (19.Tag)

Die Nacht kam uns geradezu heiß vor. Nach den vielen kalten Nächten ist es auf 2700 m sommerlich. Um 6.00 Uhr federn wir hoch, frühstücken und packen. Um 7.00 Uhr kommt unser Mulitreiber. Heute wirkt er wie ein stolzer mongolischer Stammesführer. Wieder hat er es eilig. Die Mulis sind um 7.30 Uhr gepackt und ziehen talabwärts. Wir starten um 8.00 Uhr. Mit unseren lädierten Füßen steigen wir sehr langsam ab. Mir schmerzen nicht nur die Füße, eigentlich tut der ganze Körper weh. Es ist für uns ein langer, langer Abstieg, auf dem es immer heißer wird. Irgendwann gegen 13.00 h sind wir endlich an der Straße. Nun müssen wir zurück nach Los Puquios, wo hoffentlich unser Gepäck deponiert ist. Die einzige Möglichkeit schnell wegzukommen und nicht mehr laufen zu müssen, ist per Anhalter zu fahren. Wir haben Glück, denn wir treffen zwei Männer des anderen „Dienstleisters“ Grajales, die uns mit ihrem Land Rover Defender mitnehmen. Unser Einstieg in die Zivilisation ist zumindest mit Stil. Endlich sitzen wir wieder in einem Geländewagen und rauschen mit 80 – 90 km/h den Highway 7 Richtung Puente del Inca. Die beiden setzen uns im Skiort Los Penitentes ab, da dort ihr Stützpunkt ist. Nach einigen Fehlversuchen erreiche ich „unseren“ Mario auf dem Mobiltelefon und bitte ihn, dass er uns abholt. Er fährt uns direkt zur „Aconcagua-Bar“, die seine Frau betreibt. Dort lassen wir uns einige hamburgesa und 4 Liter Sprite kommen. Währenddessen holt Mario unser Gepäck aus dem 1 km entfernten Los Puquios. Wir schlingen alles in uns hin. Mit kultiviertem Essen hat das nicht mehr viel zu tun, es ist ein hemmungsloses Fressen. Wir rechnen mit Mario noch ab. Um 16.45 Uhr kommt der Linienbus nach Mendoza. Wir zahlen 12 Pesos pro Person. Unser privater Transport vor drei Wochen hierher hat US$ 100.- gekostet. Um 20.30 Uhr sind wir in Mendoza. Mit dem Taxi geht es zum Hotel. Endlich.

Bei einem Straßenhändler kaufen wir uns jeweils ein neues T-Shirt. Ansonsten haben wir einen ungünstigen Ankunftstag erwischt. Es ist Sylvester. Die Argentinier feiern den Jahreswechsel zu Hause bzw. in edlen Restaurants. Die anderen zahlreichen Bars und Restaurants sind geschlossen und in der Innenstadt treiben sich größere Gruppen krawallsuchender Jugendlicher herum. So bleiben wir auf dem winzigen Hotelzimmer und genießen eine ausführliche Körperpflege.

01.01.03 (20.Tag)

Wir frühstücken im Hotel. Martin kommt auch dazu und wir reden lange miteinander. Angiolo ist bereits nach Cordoba abgereist, um von dort weiter nach Süden zu fahren. Wir verbringen einen ruhigen Tag in Mendoza bei über 30°C und sehr hoher Luftfeuchte. Das sind über 50°C mehr als am Gipfel des Aconcagua. Wir verschicken per E-Mail einen kurzen Expeditionsbericht. Abends gehen wir zusammen mit Martin essen und genießen die Vorzüge der Zivilisation.

02.01.03 (21.Tag)

Heute normalisiert sich das Leben in Mendoza wieder. Alle Geschäfte haben auf und wir gehen ein wenig auf Souvenirjagd. Mittags verabschieden wir Martin, denn er fährt zunächst nach Santiago de Chile und startet von da aus zu einer Besteigung des Ojos del Salado (6893 m). Wir treffen ein paar Spanier wieder, die wir auf dem Hinflug nach Mendoza kennen gelernt haben. Sie sind den Aconcagua über den Normalweg angegangen. Die meisten von ihnen waren nicht am Gipfel.

03.01.03 (22.Tag)

Unser letzter Tag in Mendoza. Wir kaufen ein wenig ein, genießen das Sommerwetter und die zahlreichen Eisdielen.

04.01.03 (23.Tag)

Nachmittags Abflug von Mendoza nach Buenos Aires. Anschlussflug nach Madrid.

05.01.03 (24.Tag)

Rückflug. Ankunft in Málaga.

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