last update: 18.07.2012

Zugriffe seit März 2003:

Cordillera Blanca 2001

2. Andenexpedition 2001        Cordillera Blanca           Huaraz / Ancash / Perú

Wo ist der Wind, wenn er nicht weht? (Tibetanisches Sprichwort)

02.07.01 (1.Tag)

Die diesjährige Anreise nach Lima (Peru) erfolgt direkter. Wir fliegen um 17.00 Uhr von Malaga nach Frankfurt. Um nicht bereits die erste Nacht für 14 h auf dem Flughafen herumzulungern, fahren wir per Shuttle-Service zu einem nahegelegenen Hotel. Dies ist so teuer, dass wir auf ein Abendessen verzichten.

03.07.01 (2.Tag)

Frühstücksbuffet im Hotel (im Preis enthalten). Wir essen reichlich. Anschließend erfolgt der Transport zum Flughafen. Gegen 11.00 Uhr beginnt der 13stündige Flug nach Lima, wie sich herausstellt, eine unerträgliche Tortur für Knie und Wirbelsäule. Wie schon beim Flug von Malaga nach Frankfurt fällt auch jetzt auf, dass die Lufthansa zum größten Teil männliches Bordpersonal einsetzt. Das Verhalten dieser Stewards ist unterhaltsam bis beunruhigend, manchmal erinnert die Atmosphäre im Flieger eher an eine Schwulenkneipe in Köln-Ehrenfeld.

Wir erreichen Lima um 24.00 MEZ, d.h. um 17.00 Ortszeit. Nach den etwas langatmigen Einreiseformalitäten nehmen wir eines der edlen und legalen Taxis. Wir zahlen zwar ein Vielfaches, aber wir sitzen in einem neuwertigen Auto mit Zentralverriegelung und brauchen keine Angst vor Gepäckverlust bei einem Ampelstopp zu haben. Wir erwerben zunächst zwei Tickets für die morgigen 400 km lange Busreise nach Huaraz. Anschließend bringt uns unser Taxifahrer in den (sicheren) Stadtteil Miraflores zum Hotel Eiffel, in dem wir auch letztes Jahr waren. Wir essen noch etwas und schlafen dann.

001 Blick vom Flugzeug Test

Anflug auf Lima entlang der Pazifikküste

04.07.01 (3.Tag)

Um 10.00 Uhr sitzen wir im Bus. Diesmal mussten wir für unser Übergepäck zahlen. 20 kg pro Person sind zulässig, aber wir haben insgesamt über 71 kg. Dazu kommt dann noch das Handgepäck (je 7 kg). Nach 8 h Fahrt Richtung Norden erreichen wir Huaraz und damit eine Höhe von 3070 m. Wie schon in Lima machen wir hier eine ganz eigenartige Erfahrung: wir kommen wieder in dieses für europäische Verhältnisse so fremde und andersartige Land und empfinden nach 10monatiger Abwesenheit eine Vertrautheit, die eher den Eindruck vermittelt, dass wir nur ein paar Wochen weg waren. Kaum sind wir aus dem Bus gestiegen, stürzen sich Einheimische auf uns, die uns das Gepäck tragen wollen und uns mit ihrem (illegalen) Taxi zu einem Hostal bringen wollen. Was uns vor einem Jahr noch in tiefe Verunsicherung und Orientierungslosigkeit gestürzt hat, empfinden wir jetzt als eine angenehme Tatsache in diesem Land. Wir lassen uns zum Hostal Galaxia fahren und werden dort gleich wiedererkannt und als Stammkunden begrüßt.

Der Jetlag, die lange Anreise und jetzt auch noch die Höhe von 3070 m nehmen uns beinahe die Kraft, unsere knapp 90 kg Ausrüstung in den ersten Stock des Hostals zu tragen. Das Herz schlägt im Hals und wir ringen nach Luft.

002 Hostal in Huaraz02

Blick aus dem Hostal Galaxia

05.07.01 (4.Tag)

Wir erwachen mit höllischen Kopfschmerzen, die uns das Gefühl geben, dass die Augen jeden Moment aus den Höhlen treten. In den nächsten Tagen wird uns eine Aspirin pro Tag die erste Anpassungsphase erleichtern.

Wir frühstücken in "unserem" Café Roma. Auch dort werden wir wie Freunde begrüßt. Huaraz ist dieses Jahr voller, d.h. es befinden sich viel mehr an Kultur interessierte Touristen in dieser Region. Dies ist vor allem auf die schweren Erdbeben im Süden Perus Ende Juni zurückzuführen. Auch kommerzielle Veranstalter sind auf den Norden Perus ausgewichen.

Zur ersten Akklimatisierung steigen wir heute zu einem Mirador und darüber hinaus auf und erreichen eine Höhe von 3500 m.

06.07.01 (5.Tag)

Wir fahren zum Dorf Llupac (3400 m) und steigen von dort zur Laguna Churup auf (4400 m). Damit haben wir bereits die Höhe der höchsten Alpengipfel erreicht. Wir steigen auf 3300 m ab und fahren nach Huaraz zurück. Außer einer hohen Atem- und Herzfrequenz gibt es keine nennenswerten Effekte.

003 Hausberge von Huaraz

Die “Hausberge” von Huaraz; erreichbar vom Llaca-Tal

004 Blick auf Huaraz

Blick auf Huaraz; im Hintergrund die Cordillera Negra

005 unterwegs nach Pitec04

Aufstieg über Pitec zur Laguna Churup

006 Nevado Churup

Nevado Churup (5493 m)

07.07.01 (6.Tag), 08.07.01 (7.Tag)

In diesen beiden Tagen bereiten wir unsere erste Tour vor. Wir kaufen ein, testen unseren Benzinkocher und holen Informationen über das Wetter ein. In diesem Jahr hat es bis Ende Juni geregnet und in den Bergen geschneit, d.h. es liegt ungewöhnlich viel Schnee, so dass einige Touren nur schwer oder noch gar nicht möglich sind.

Wir treffen überall auf "alte Bekannte" in Huaraz und unterhalten uns viel. Dabei sammeln wir immer auch wertvolle Infos.

007 Hausberge von Huaraz Text
008 erstes BC im Llacatal
009 Eisschlag im BC

Eisschlag am Ort des ersten Basislagers - Glück gehabt!!

links: unser erstes Basislager vor dem Eisschlag

09.07.01 (8.Tag)

Wir fahren nach einigen organisatorischen Problemen mit einer Stunde Verspätung ins Llaca-Tal, direkt oberhalb von Huaraz. Dieses Sackgassental ist über eine wilde Piste erreichbar. Dies hat den Vorteil, dass wir uns mit sehr viel Ausrüstung und Essen für 6 Tage bis auf eine Höhe von 4300 m bringen lassen können, eine Erleichterung bei unvollständiger Akklimatisierung. Wir bauen unser Basislager unterhalb der Lagune auf und stellen bald fest, dass es kein sicherer Ort ist. Die Sonneneinstrahlung löst in den Eisfällen oberhalb unseres Lagerplatzes riesige Platten aus Eis, die auf ihrem Weg nach unten mehrfach auf die Felswände schlagen und als faustgroße Eisstücke neben unserem Zelt einschlagen. Wir wurden mehrfach nur knapp verfehlt. Ein weiterer Grund unser Lager aufzugeben ist die Nähe zur Piste, auf der wir gebracht worden sind. Zwei Rumänen berichteten uns, dass einem Freund vor zwei Wochen die gesamte zurückgebliebene Ausrüstung gestohlen wurde, während er am Berg unterwegs war.

10.07.01 (9.Tag)

Nach einem Frühstück in der Sonne verlegen wir unser Basislager auf 4400 m, etwa 15 Minuten oberhalb des bisherigen Platzes. Dort sind wir sicher, müssen aber feststellen, dass die Sonne diesen Platz nur von 8.10 bis 12.30 Uhr erwärmt. Sobald die Sonne hinter der Felswand verschwindet, können wir unsere Daunenjacken anziehen.

010 Ich bin zwei Esel

Umzug: “Ich bin zwei Esel ...”

Neben der Akklimatisierung wollen wir in den sechs Tagen auch den Nevado Vallanaraju (5667 m) besteigen. Da wir letztes Jahr gescheitert sind, wollen wir diesmal gut vorbereitet sein. Wir steigen vom Basislager eine Stunde auf und erreichen eine Reibungskletterei (4+), die den weiteren Zustieg erschwert. Ich klettere diese schlecht absicherbare Passage und hole Utta nach. Wir steigen weiter entlang eines Moränenkamms bis auf eine Höhe von 4800 m. Wir studieren den Rest der Route, insbesondere die Mixed-Terrassen in der Ostwand des Vallanaraju. Beim Abstieg seilen wir über die Kletterpassage ab und belassen unser Seil für einen weiteren Aufstieg dort.

012 neues BC

morgendliche Sonne im neuen Basecamp

11.07.01 (10.Tag)

Wir steigen wieder über unsere Route zum Vallanaraju, nehmen aber die gesamte schwere Ausrüstung (Steigeisen, Eisgeräte) mit. Heute steigen wir bis auf eine Höhe von 5010 m und legen dort ein Depot mit unserer schweren Ausrüstung an. Wir verbleiben ca. 1 h auf der Höhe und steigen dann ab.

014 Vallu Ostwand
013 Kletterpassage 4+

Blick in die glatten Platten der Kletterpassage

016 wenig Optimismus klein

Vallunaraju-Ostwand vom Depot aus, bei diesem Wetter kommt wenig Optimismus auf

015 Ocshapalca verschneit

Die verschneite Südwand des Ocshapalca (5881 m)

12.07.01 (11.Tag)

3.00 Uhr Aufstehen, 3.55 Uhr steigen wir auf. Heute wollen wir den Gipfel erreichen. Die ersten 2 h laufen gut, einschließlich der Kletterpassage, die nicht vereist ist. Während der dritten Stunde des Aufstiegs bekomme ich gesundheitliche Probleme, die mich an unserem ganzen Handeln sehr stark zweifeln lassen. Ich verfluche den Tag und einfach alles. Utta geht es wesentlich besser. Nach 3 h erreichen wir unser Depot. Wir pausieren, trinken heißen Tee und essen etwas.

019 Die Kälte beißt

Es wird hell und mir geht es ganz langsam besser. Wir pausieren 40 Minuten, bis die Sonne uns erreicht. Meine Lebensgeister und Kräfte kehren zurück. Der weitere Aufstieg führt uns über riesige Geröllfelder und Schneefelder an die felsige Südwand des Vallanaraju. Wir steigen über die schneereichen Terrassen diagonal durch die Wand. Da die Wand bereits früh am Morgen die erste Sonne trifft, ist der Schnee bereits weich und gefährlich. Mir graust schon jetzt vor dem Abstieg. Aber das Problem löst sich schneller als erwartet: Wir erreichen auf 5200 m eine Stelle, an der wir von unserem Band auf die darunter liegende Terrasse abklettern oder abseilen müssen. Unterhalb dieser Terrasse fällt die Wand senkrecht ab und bietet atemberaubende Tiefblicke auf unsere Aufstiegsroute. Wir suchen Alternativen, finden aber keine. Eine Zackensicherung lässt sich nicht installieren, einen passenden Haken können und wollen wir nicht unterbringen. Wir sind bereits seit sechs Stunden im Aufstieg und entsprechend erschöpft. Keiner mag mehr weitergehen, zumal der Schnee auch immer weicher wird. Gegen 10.30 Uhr kehren wir um und steigen frustriert ab. Auf einer Höhe von 5000 m pausieren und analysieren wir ausführlich. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass man besser an der Stelle, an der wir sitzen, ein weiteres Hochlager errichtet und nach einer Nacht auf 5000 m früh morgens in die Wand einsteigt. Man hat dann 3 h weniger Aufstieg und bessere Verhältnisse in der Wand.

021 Blick zum Huantsan02

Blick zum Nevado Huantsan (6395 m)

022 Rast beim Aufstieg Andre
024 Umkehrpunkt
026 Abseilen ins Llacatal
017 BC-Gemütlichkeit klein

Basislager-Gemütlichkeit: Utta kocht

018 Moränenrücken

oben: auf dem Moränenrücken zur Wand

links: die Kälte ist unerträglich

020 endlich Sonne

Endlich Sonne und ein bisschen Wärme

023 unter der Wand

oben: Utta unterhalb der Südwand, Nevado Ocshapalca (5881 m) im Hintergrund

links: kurze Rast vor dem Einstieg in die Wand

links: André am Umkehrpunkt. Im Jahr 2000 sind wir umkehrt; in 2001 erreichen wir eine größere Höhe und kehren wieder um...

025 Utta beim Rückzug

Auf dem Rückzug!

13.07.01 (12.Tag)

Wir verbringen den Tag im Basislager und der näheren Umgebung. Es finden sich hier einige Boulder- und Klettermöglichkeiten. Einige wenige Routen existieren bereits. Wir können die Zeit trotz unseres wiederholten Scheiterns genießen. Das Llaca-Tal ist eine Traumlandschaft von überirdischer Schönheit.

14.07.01 (13.Tag)

Wir bauen unser Lager ab und steigen zur Piste hinunter. Am üblichen, aber derzeit menschenleeren Basislagerplatz sammle ich den gesamten zurückgelassenen Müll früherer Expeditionen ein (Aluverpackungen, Konservendosen, Batterien (!!), Bonbon-, Müsliriegelverpackungen, Plastikflaschen, -dosen etc.). Unser Müllvolumen vervierfacht sich. Wir werden gegen 11.00 Uhr von einem Fahrer abgeholt, der uns in ca. 2 h Fahrt nach Huaraz bringt. Der gute Mann hat einen ca. 25 Jahre alten Toyota Corona ohne jegliche Innenverkleidung, ohne Handbremse, ohne Zündschlüssel, ohne Sicherheitsgurte. Der Wagen ist bereits ausgeschlachtet. Während der vorsichtigen Fahrt konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich mich wegen der ins Fahrzeuginnere dringenden Abgase oder wegen des permanenten Benzingeruchs übergeben sollte. Wir sind irgendwie dann doch gesund in Huaraz angekommen und genießen die Angebote der Zivilisation (Dusche, Bett, Essen...). Unsere Akklimatisierung scheint besser zu werden. Mein Ruhepuls ist bereits wieder auf 44 Schläge pro Minute gesunken.

15.07.01 (14.Tag)

Wir bestellen unser erstes Zivilisations- frühstück im Café Roma. In der Sonne sitzen, den Kaffee und die Brötchen genießen. Es schmeckt nach solchen Touren einfach immer am besten. Eigentlich hangeln wir uns von einer Mahlzeit zur anderen. Zwischendurch sitzen wir auf der Dachterrasse unseres Hostals und lesen (alpine Literatur). Ich genieße Hans Kammerlanders "Bergsüchtig".

Unwetter über dem Llaca-Tal

027 Huaraz Regen am Berg

16.07.01 (15.Tag)

Bereits heute gehen wir in die Vorbereitung der nächsten Tour. In der neuen Trekkingagentur, in der wir uns mit dem Argentinier Andres angefreundet haben, hole ich Informationen für den Nevado Mururaju (5688 m) ein. Er sieht in uns weniger Kunden, sondern wohl einfach nette Bergsteiger, denen er unbedingt Insidertipps geben will. Wir planen unseren Aufbruch für Mittwoch.

17.07.01 (16.Tag)

Wir packen die Rucksäcke und bereiten alles für die Tour vor. Insgesamt sind wir heute unglaublich müde und schlafen sogar "versehentlich" mittags auf dem Bett ein. Das Wetter ist gut und für den morgigen Aufbruch ist alles organisiert. Wir sind voller Erwartung.

18.07.01 (17.Tag)

Wir stehen um 4.50 Uhr auf und räumen unser Hostalzimmer. Gegen 5.30 Uhr werden wir von einem Kleinbus abgeholt, in dem bereits fünf Leute sitzen, die am Pasto Ruri (4800 m) einen eintägigen Eiskletterkurs machen wollen. Wir haben dadurch recht günstige Transportkosten bis zu unserem Ausgangspunkt. Wir verlassen das nächtliche Huaraz und bemerken auf der Fahrt, dass der Himmel wolkenverhangen ist. Mit zunehmendem Tageslicht wird deutlich, dass es der bislang schlechteste Tag zu werden scheint. Gegen 8.30 Uhr werden wir an unserem Ausgangspunkt auf etwa 4100 m abgesetzt. Die Schotterpiste führt weiter bis auf 4800 m, wo die Gruppe abgesetzt werden wird. Mit dem Begleiter des Busses gibt es noch längere Diskussionen, weil man in diesem Teil des Nationalparks Huascaran an einem Kassenhäuschen vorbeikommt. Die Tageskarte kostet 5.-Soles, bleibt man länger, dann muss man eine 4-Wochen-Karte für 65 Soles erwerben. Ich hatte den Begleiter angewiesen, diese 4-Wochenkarte zu kaufen. Das Geld hatte er vorgestreckt, da unser Geld im Rucksack auf dem Dach des Busses war. Jetzt beim Aussteigen wollte er sein Geld haben und verlangte 130.- Soles. Ich verlangte die Quittung, d.h. für uns zwei jeweils den Nachweis, dass wir die 4-Wochen-Karte erworben haben. Vom letzten Jahr wusste ich, dass beim Verlassen des Parks wieder genau kontrolliert würde. Nach langen stetig aggressiver werdendem Gebrülle stellte sich heraus, dass er eine Tageskarte für uns alle im Bus gelöst hatte und uns jetzt das Geld für die 4-Wochen-Karte abknöpfen wollte. Nachdem sein Betrug aufgeflogen war, kochte er.

Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass uns dieser freundliche Zeitgenosse zu spät abgesetzt hatte. Um unser anvisiertes Tal zu erreichen, mussten wir zunächst 2 Std. in übelstem weglosen Gelände zurückgehen. Anschließend fanden wir keinen Pfad, der in "unser" Tal führte und folgten nur Kuhpfaden. Die Wolken hingen nur auf etwa 4500 m an den Bergen fest. Es nieselte immer wieder. Ab und zu kamen auch ein paar Sonnenstrahlen durch. Wir wurden optimistischer, zumindest was das Wetter betraf. Bei der Wegführung gab es erhebliche Schwierigkeiten. Wir gelangten immer wieder in sumpfartige Passagen, in denen manchmal die Bergschuhe drohten im Schlamm stecken zu bleiben.

Gegen 14.00 Uhr stand unser Entschluss fest: Wir geben (mal wieder) auf. Seit über 5 Std. versuchen wir das Basislager zu erreichen und es ist aussichtslos. Andres hatte uns gesagt, dass wir ca. 2 Std. benötigen würden und sogar noch am gleichen Tag ins höher gelegene "Moränencamp" gelangen könnten. Wir aber waren zum Zeitpunkt der Umkehr erschöpft, da die über 25 kg schweren Rucksäcke zu einer unendlich schweren Last geworden waren, insbesondere im völlig weglosen Gelände. Wir planten, zunächst weiter unten eine Nacht im Zelt zu verbringen und am darauf folgenden Tag zur Piste zurückzugehen und (hoffentlich) mit irgendeinem Auto/Bus nach Huaraz zu gelangen.

Die Wolken kamen plötzlich tiefer, es setzte Regen ein, den wir zu lange als Nieseln abgetan hatten. Wir eilten das Tal hinunter und fanden sogar einen Pfad, den wir auf dem Hinweg benötigt hätten. Irgendwann hatten wir von diesem Tal, diesem in Wolken verhüllten Berg so die Schnauze voll, dass nur noch der schnellstmögliche Abstieg zur Schotterpiste erstrebenwert schien. Gegen 15.30 Uhr standen wir zu unserem Erstaunen (nach 1,5 h) am Rand der Piste (4100 m !!!). Statt jetzt endlich unsere Goretex-Jacken anzuziehen, stapften wir einfach die Piste entlang Richtung Hauptverbindungstrasse nach Huaraz (rund 18 km entfernt). Beide waren wir zu erschöpft, die schweren Rucksäcke abzusetzen und mehr anzuziehen.

028 Wo ist der Mururaju

Unterdessen regnete es immer weiter ohne Aussicht auf Besserung. Der aufkommende Wind kühlte uns unmerklich immer mehr aus. Erst nach mehr als 1,5 Std. kamen endlich zwei Kleinbusse. Wir stoppten den ersten und stellten zu unserer Überraschung fest, dass es der freundliche Mann von der Hinfahrt war, der eigentlich wenig Lust hatte uns mitzunehmen. Der Fahrer des Busses war anders eingestellt, stieg aus und lud unsere Rucksäcke auf den Dachgepäckträger. Seinen mürrischen Begleiter schickte er zu den Eiskletterern nach hinten und wir konnten beide vorne neben ihm sitzen. Jetzt kühlten wir erst richtig aus, da wir uns nicht mehr bewegten. Das letzte Mal haben wir uns so nach einem Gewitter am Wetterhorn (Schweiz) 1993 gefühlt.

Zurück im Hostal duschten wir zunächst. Aber wir waren so ausgekühlt, dass uns das Duschen nicht wirklich erwärmte. Anschließend legten wir uns mit Fleeceklamotten ins Bett und tranken einen Liter heißen Tee. Langsam wurde es besser. Erst nach einem warmen Abendessen tauten wir richtig auf.

Rückblickend hatten wir wahnsinnig viel Glück, dass an diesem lausigen Tag überhaupt noch ein Auto kam. Des weiteren haben wir uns einfach dumm verhalten. In den Alpen wären wir bei diesem Wetter erst gar nicht losgegangen und Jacken hätten wir uns auch anziehen können ...

19.07.01 (18.Tag)

Wir sind von den gestrigen Ereignissen völlig erschöpft. Alle umliegenden Berge hängen in dicken Wolken, nur in Huaraz ist es sonnig. Zumindest können wir unsere Ausrüstung trocknen. Am Abend stellt sich noch heraus, dass Utta auf den Oberschenkeln und Knien Kälteallergie bekommt, d.h. die Haut wird rot und schmerzt. Im schlimmsten Fall klumpt das Fettgewebe zusammen. Wir kennen das Problem von einigen Wintertouren. Ich hingegen habe durch den schweren und nassen Rucksack, der einfach zu lange auf meinem Becken gelastet hat, erhebliche Probleme mit meinen unter Druck geratenen Ischiasnerven. Besonders die rechte "Problemseite" schmerzte bei jeder Bewegung.

20.07.01 (19.Tag)

Am Morgen hat sich Uttas Kälteallergie vom Schritt bis zu den Waden ausgebreitet. Es sieht schlimm aus. Während des Frühstücks bekomme ich schwersten Durchfall, wie sich später herausstellt, war es nur der Vorbote einer schlimmeren Magen-Darm-Erkrankung.

Gegen 17.00 Uhr habe ich hohes Fieber, Schwindel, Brechreiz, Schüttelfrost und natürlich Durchfall. Wie im letzten Jahr stellt sich eine Infektion des Magens heraus, d.h. der Magen stellt seine Tätigkeit einfach komplett ein. Wir besorgen uns Medikamente, insbesondere ein spezielles Antibiotikum. Utta hängt von den Symptomen nur ein paar Stunden hinter mir her. Die Nacht wird zur Hölle. Utta rennt im Stundenrhythmus aufs Klo, ich etwas weniger. Innerhalb von Stunden laugt der Körper völlig aus. Wir sind nur noch in der Lage im Bett zu liegen.

21.07.01 (20.Tag)

Morgens fühlten wir uns nur noch als schwächliche Hülle, die mehr oder weniger leblos im Bett liegt. Es keimt in solchen Momenten sogar der Wunsch auf, in einem Krankenhausbett zu liegen und künstlich ernährt zu werden. Die Angst, dass sämtliche Kraft zum Besteigen der Berge in der Toilette verschwunden ist, zermürbt uns. Des weiteren kommt auch durchaus der Gedanke auf, dass wir Europa besser gar nicht verlassen hätten...

Nahrung rutscht den ganzen Tag über nur sehr widerwillig die Speiseröhre hinunter. Die Medikamente zeigen noch keine Wirkung. Mir geht es ab ca. 17.00 Uhr schlagartig besser, Utta folgt 3 Stunden später. Abends essen wir dann eine Portion Nudeln und vertragen es auch. Der Magen-Darm-Trakt scheint sich zu stabilisieren. Wir verbringen eine ruhige Nacht.

22.07.01 (21.Tag)

Das Schlimmste scheint überwunden, unser Frühstück schmeckt uns sogar wieder. Die härteste Phase der Erkrankung hat "nur" 24 bis 30 Std. gedauert, aber von der Wirkung und vom Gefühl her, ist es eher so, als wäre man 3-4 Tage außer Gefecht gewesen.

Langsam zu neuen Kräften kommend, stellt sich natürlich die Frage, wann gehen wir auf welchen Berg!?! - Wir planen direkt für morgen den Aufbruch zum Nevado Pisco (5752 m), auf dem ich letztes Jahr bereits alleine war. Wir benötigen drei Wochen nach unserer Abreise aus Europa endlich einen Gipfelerfolg, denn die Moral ist im Keller. Anspruchsvollere Gipfel müssen warten.

23.07.01 (22.Tag)

Morgens gegen 9.30 Uhr suchen wir uns in Huaraz an der Puente (Brücke) ein Collectivo (= Sammeltaxi), das uns in das 60 km entfernte Yungay bringen soll. Inzwischen scheinen wir den Eindruck zu machen, dass wir nicht ahnungslose Gringos sind, die in das erste Collectivo zu jedem Preis steigen. Als der erste Fahrer bzw. sein "Anheuerer" mitbekommen hat, dass Utta und ich nach Yungay wollen, nimmt die Zahl der Menschen um mich herum schlagartig zu. Utta geht anfangs eher allein daher, während ich mit meinen 1,90 m umringt bin von 7 bis 9 Fahrern, die uns alle für ihr Büschen bekommen wollen. Der eine flüstert mir seinen Preis zu, während die anderen auf spanisch oder in Quechua wildes Zeug von sich geben und jeweils den Transport mit ihrem Bus als den besten in ganz Huaraz anpreisen. Ein anderer zeigt mir heimlich mit seinen Fingern den Preis: 3 Soles. Ich kenne den regulären "Einheimischen-Tarif", 3 Soles und den wollen wir auch bezahlen, nicht mehr und nicht weniger. 3 Soles sind etwa DM 2,10 für 60 km Fahrt. Um mich aus der Menschenmenge zu befreien, frage ich laut nach dem Preis. Plötzlich geht das Gebrülle richtig los und Utta wird mit einem Angebot für 2,50 Soles in die eine Richtung gezerrt und ich habe mich gerade für einen anderen Fahrer mit einem recht gepflegten Bus entschieden, dem nur noch zwei Leute fehlen, damit er direkt losfährt. Letztlich landen unsere Rucksäcke auf dem Dachgepäckträger des gewünschten Busses und die Fahrt geht los. In Yungay (2500 m) suchen wir uns einen Bus, der uns die Schotterpiste ins Llanganuco-Tal hinaufbringt. Wir lassen uns in einer bestimmten Kehre (3850 m) absetzen. Hier beginnt der eigentliche Aufstieg ins Basislager an den Nevados Pisco und Hundoy.

Wir starten bei schönem Wetter mit ein paar Wolken an den hohen Gipfeln. Beim Erreichen des Basislagers (4550 m) hat die Bewölkung stark zugenommen, so dass wir das Zelt bereits ohne wärmende Sonnenstrahlen aufstellen müssen. Es wird schnell unangenehm kalt, so dass wir mit dicken Daunenjacken vor dem Zelt sitzen und kochen. Ein Wiedersehen der besonderen Art ergab sich kurz vor dem Erreichen des Lagers. Ein Einheimischer hockt mit Walkman auf einem großen Stein und beobachtet unseren Aufstieg. Als ich ihm nahe genug bin, erkenne ich, dass es Alfredo ist. Wir haben ihn im letzten Jahr im Ishinca-Tal kennengelernt. Er arbeitet als Träger und Koch, d.h. Alfredo trägt zum Teil größere Lasten als die Bergsteiger, die er begleitet und bekocht sie dann im Basis- und auch Hochlager. An manchen Bergen begleitet er seine Kunden auch bis zum Gipfel. Letztes Jahr hatte er zwei amerikanische Pärchen betreut und für uns auf unser Zelt aufgepasst, da wir glaubten, dass einige zwielichtige Gestalten auf eine gute Beute warteten. Über viele Gespräche und ein Wiedersehen in Huaraz sind wir uns nähergekommen, ohne dass wir je Kunden von Alfredo waren. Er erkannte uns auch direkt wieder, war aber im ersten Moment etwas fassungslos, als ich ihn völlig selbstverständlich mit "Hola Alfredo!" begrüßte, so als hätten wir uns gestern erst gesehen. Leider hat Alfredo wohl deutlich weniger Kunden als im letzten Jahr, so dass er uns in diesem Jahr unbedingt begleiten möchte. Preislich kommt er uns bereits entgegen und Utta versucht er es mit seinem Charme schmackhaft zu machen, z.B., dass sie nur mit einem winzigen Rucksack steigen müßte. Den ganzen Rest schleppen dann die beiden Esel André und Alfredo. Wir haben ihn zunächst vertröstet.

24.07.01 (23.Tag)

Unser geplanter Gipfeltag beginnt anders als erwartet. Um 3.00 Uhr geht unser Wecker. Der Blick aus dem Zelt lässt uns erstarren: der gesamte Himmel ist geschlossen mit Wolken bedeckt, aber die Gipfel sind frei. Im Osten scheint sich Schlimmeres zu nähern. Es brechen einige andere Bergsteiger auf, so dass der übliche Zweifel aufkommt. Wenn die anderen gehen und es evtl. schaffen, warum wir nicht?? - Doch nach unseren Erfahrungen am Nevado Mururaju haben wir vereinbart, dass wir unseren üblichen alpinen Grundsätzen wieder treu sind und nicht wie Herdentiere handeln. Wir legen uns wieder ins Zelt. Es war die richtige Entscheidung, denn um 8.00 Uhr sind bereits alle Berge in Wolken gehüllt. Wir verbringen einen langen Tag im Basislager mit ganz wenigen Minuten Sonne, kaltem Wind und Schneefall ab 14.00 Uhr. Wir sehen keine Chance auf eine entscheidende Wetterbesserung und gehen davon aus, dass wir am folgenden Tag absteigen werden, denn unser Essen ist knapp bemessen. Einige Bergsteiger erreichten heute den Gipfel im Schneetreiben, andere gaben frustriert auf. Uns zermürben die Kälte und das Nichtstun.

029 Zustieg BC Pisco

Auf dem Weg ins Basislager

030 BC Pisco

Warten im Basislager

 25.07.01 (24.Tag)

Der Wecker geht erneut um 3.00 Uhr. Die Nacht ist eisig und das Öffnen des Zeltes schickt mir zunächst einen Eisregen ins Gesicht, da das Zelt mit einer dicken Eisschicht überzogen ist. Ich traue meinen Augen nicht: die Milchstraße ist deutlich erkennbar, nicht eine Wolke ist zu sehen, nur Millionen von Sternen. Minuten später rauscht bereits der Benzinkocher und ich bereite in der eisigen Luft das Frühstück vor. Als Utta aus dem Zelt kommt, steht mein Rucksack bereits fertig neben dem Zelt. Um 4.08 Uhr starten wir zu unserem Gipfel. Alles läuft reibungslos und wir ereichen nach 2,5 Stunden den Beginn des Gletschers. Das kurzfristige Verlaufen in der öden Moränenlandschaft ist bereits vergessen.

032 Huandoy Sur

Blick auf den Nevado Huandoy Sur (6160 m)

034 Pause im ersten Sonnenlicht

Pause im ersten Sonnenlicht

038 Artensonraju und Andre
031 morgendlicher Aufstieg
035 Huandoy-Pisco col 5300 m

Im Col zwischen Huandoy und Pisco (ca. 5300 m), Nevado Chopicalqui (6354 m) im Hintergrund

Im Col mit Artesonraju (6025 m) im Hintergrund

039 Blick Richtung Piscogipfel

Beim Anziehen der Gamaschen und der Steigeisen kommt die Sonne zu uns. Endlich werden wir von der Kälte erlöst. Wir steigen zum Col (5225 m) auf und sehen zum ersten Mal in diesem Jahr die Cordillera Blanca ohne Wolken: zuerst den Artesonraju, dann Alpamayo, Caraz und und... Wir freuen uns, dass unser Warten endlich belohnt wird und wir einen wirklichen Gipfeltag erleben. Uns trennen noch rund 500 Höhenmeter vom Gipfel und das Unerwartete geschieht: Utta findet einen recht zügigen Steigrhythmus, den sie ohne nennenswerte Pausen bis zum Gipfel durchhält. Ihre Motivation, endlich einen Gipfel zu erreichen, ist gigantisch, außerdem kann sie einen neuen persönlichen Höhenrekord aufstellen. Um 10.17 Uhr stehen wir auf dem 5752 m hohen Gipfel des Nevado Pisco.

040 nahe des Gipfels02

Blick Richtung Pisco-Gipfel

041 Chacraraju

An der Gipfel-Kalotte des Pisco

043 Pisco summit Utta

Utta am Gipfel des Pisco. Im Hintergrund türmt sich der Huascarán Norte (6664 m) auf. Er ist über 900m höher als der Pisco.

Blick auf den nur schwer zugänglichen Nevado Chacraraju Oeste (6112 m) und Este (6001 m)

044 Pisco summit Andre

Blick zur anderen Seite: links die Caraz- Gipfel, rechts die Pyramide des Artesonraju

Wir genießen die Aussicht bis etwa 11.00 Uhr. Um uns herum beginnt es zu quellen, kurz nach Verlassen des Gipfel ist dieser bereits in Wolken. Wir eilen den Berg herunter und erreichen den Gletscherrand nach etwas mehr als 1 h. Beim Ausziehen der Steigeisen beginnt ein Schnee-/Hagelschauer, der bis zum Abend nicht mehr aufhören sollte. Wir sind enttäuscht, dass unsere Tour doch wieder im Schlechtwetter endet. Wir erreichen gegen 14.30 Uhr das Basislager, in dem inzwischen nur noch unser Zelt steht. Wir kochen im Schneesturm einen Liter Tee und verschwinden im schützenden Zelt. Zwischen 18.00 und 19.00 Uhr lassen uns die Wettergötter noch eine Chance etwas zu kochen und zu essen. Danach schneit und hagelt es weiter. Wir sind dennoch glücklich am Gipfel gewesen zu sein und schlafen bald ein.

049 Lagerleben
046 im Abstieg Andre02
047 Moränenlandschaft

Oben: im Abstieg bei schlechter werdendem Wetter

Links: zurück im Basecamp

26.07.01 (25.Tag)

Um 7.00 Uhr scheint die Sonne bereits auf unser Zelt. Wir stehen auf und beginnen direkt die wesentlichen Dinge zu trocknen. Gegen 10.30 Uhr haben wir alles zusammengepackt und steigen vom Basislager ab. Der Himmel quellt langsam wieder zu, der Gipfel des Pisco ist bereits wieder verhüllt.

Nach den üblichen Fahrten mit den Collectivos erreichen wir um 15.00 Uhr Huaraz. Wir freuen uns auf die Duschen und das Essen. Am Abend essen wir eine Riesenpizza aus einem Steinofen und trinken, passend zu unserem Gipfel, Pisco sour. Dieses alkoholische Getränk stammt aus der Stadt Pisco, südlich von Lima und hat dem Berg seinen Namen gegeben.

27.07.01 (26.Tag)

Es ist einer der üblichen Regenerationstage in Huaraz. Wir trocknen unsere Ausrüstung und waschen unsere Kleidung, ruhen aus und essen sehr viel. Noch nie war das Wetter in Huaraz so schlecht wie gestern und heute. Normalerweise ist es in Huaraz immer sonnig, selbst wenn es in den Bergen Unwetter gibt. Dieses Jahr ist alles anders. Wir warten und hoffen auf gutes und stabiles Wetter.

050 BC nächster Tag

Basecamp am nächsten Morgen

052 Umzug in Huaraz

Festliche Umzüge und Demonstrationen für bessere Lebensbedingungen finden jeden Sonntag und auch an Wochentagen statt.

28.07.01 (27.Tag) / 29.07.01 (28.Tag)

In Peru feiert man die Unabhängigkeit und entsprechend viele peruanische Touristen aus Lima bevölkern Huaraz. Alle Betten sind ausgebucht, alle Ausflugsbusse zu den Hauptattraktionen unterwegs, Live-Konzerte auf der Hauptstrasse usw. Zum Teil ist es einfach zu laut und unerträglich. Erschreckend ist, dass sich die Großstädter aus Lima wie Herrenmenschen aufführen und die „Landeier“ aus der Bergregion, insbesondere Indios, wie Sklaven behandeln. Es ist deutlich spürbar, wie sich das Verhalten der in Huaraz ansässigen Menschen wandelt. Erst die Abreise der Großstädter entspannt die Lage wieder. - Wir wünschen uns besseres Wetter und wollen wieder auf eine Tour gehen.

30.07.01 (29.Tag)

Wir bereiten unsere nächste Tour vor und packen die Rucksäcke. Das Wetter soll besser werden, aber davon ist noch nichts zusehen. Am Nachmittag regnet es sogar in Huaraz. Wir schauen bei Andres im Laden vorbei und wollen seine neuen Klettergriffe, die er aus Argentinien mitgebracht hat, unter die Finger nehmen. Andres hat sie sinnvoll auf der Boulder-Wand verteilt, so dass sich jetzt besser trainieren lässt. Uttas ausgefeilte Klettertechnik fällt einigen jungen Peruanern sofort auf, so dass sie von zwei Jungs besonders intensiv belagert wird. Die beiden versuchen ihren Bewegungen zu imitieren und befragen sie gleich, ob sie auch draußen klettert, wie oft und wo.... Andres und mich amüsiert es und wir beobachten das Ganze aus der Ferne.

Weiterhin hat uns Andres einen Fahrer besorgt, der uns morgen früh nach Collón bringen soll (30 Soles). Damit ist uns irgendwie die Entscheidung abgenommen worden, ob wir morgen losgehen sollen oder nicht. Unser Ziel ist der 6034 m hohe Tocllaraju. Abends bekomme ich wieder erhebliche Magenkrämpfe.

31.07.01 (30.Tag)

Ich fühle mich gesundheitlich eher beschissen, aber ich will trotzdem aufbrechen und hoffe darauf, dass sich alles während der nächsten Tage regeneriert. Um 8.00 Uhr fahren wir Richtung Collón und erreichen dieses dreckige Kaff (3300 m) vor 9.00 Uhr. Kurz nach 9.00 liegen unsere großen Rucksäcke bereits auf dem Rücken von zwei Pferden und wir starten mit einem ganz netten Arriero Richtung Basislager. Rund 1000 Höhenmeter liegen vor uns. Das Wetter ist so gut, dass wir es selbst kaum glauben können, absolut wolkenfrei und völlig klare Luft. Nach 4 h 50 min. erreichen wir das Basislager (4300 m). Ich bin, obwohl ich nur einen kleinen Rucksack getragen habe, völlig fertig. Wahrscheinlich habe ich sogar leichtes Fieber. Nachdem das Zelt aufgebaut ist, lege ich mich auf die Isomatte und schlafe ein. Leider habe ich mich heute nur einmal eingecremt und hole mir einen fetten Sonnenbrand. Um 17.00 Uhr steige ich unseren morgigen Weg zum Hochlager 1 eine halbe Stunde hoch, um mich für Morgen zu orientieren. Ich fühle mich schwach. Im Basislager kommen immer stärkere Windböen auf, die den feinen herumliegenden Sand hochwirbeln. Dieser Dreck dringt in jede Ritze. Am Gipfel des Tocllaraju erzeugt der Sturm bereits 200 bis 400 m lange Schneefahnen (!!!), die uns bereits einen deutlichen Hinweis darauf geben, was uns erwartet. Sturm und Kälte.

053 unterwegs ins Llacatal
054 Tocllaraju vom BC

Blick auf den Tocllaraju (6032 m) mit seinen Schneefahnen

055 BC im Llacatal02

Unser Basislager im sandigen Llaca-Tal

01.08.01 (31.Tag)

Um 8.00 Uhr scheint die Sonne auf unser Zelt. Wir bereiten nach dem Frühstück schnell den Aufbruch zum Lager 1 vor, denn die Winde im Basislager wirbeln so viel Dreck auf, dass wirklich alles völlig mit Sand und Staub behaftet ist. Auch unsere Kleidung ist flächendeckend mit Dreck überzogen. Die Reißverschlüsse am Zelt sind sogar schwergängig geworden. Es ist einfach ekelhaft.

Gegen 10.00 Uhr beginnen wir unseren Aufstieg zum Lager 1. Die großen Rucksäcke lassen jede Freude vergehen. Uttas Rucksack hat mindestens 25 kg und meiner wiegt jenseits von 30 kg. Wir steigen langsam und stetig, allerdings spüre ich, dass ich gesundheitlich nicht voll auf der Höhe bin. Sollte man dann eigentlich zu einem 6000er aufbrechen???

Eine halbe Stunde bevor wir den Gletscherbeginn erreichen, peitschen uns schon Schneeverwehungen ins Gesicht. Auf dem Gletscher wird es erst richtig schlimm. Der Schnee wird vom starken Wind permanent in die Höhe geschleudert, peitscht uns nicht nur ins Gesicht, sondern baut sich zu so starken Sturmböen auf, dass wir immer wieder nahe davor sind, umgeworfen zu werden. Ein weiteres Problem ist unsere Spur. Die Schneeverwehungen sind so stark, dass Uttas Tritte im Schnee verweht sind bevor ich sie überhaupt erreiche und das, obwohl ich nur 10 bis 30 Schritte hinter ihr gehe. Der Schnee trägt Uttas Gewicht meistens, während bei meinem Gewicht beinahe jeder Tritt bei der Gletschertraverse ausbricht. Kommt im richtigen Moment noch eine Sturmböe dazu, ist das Gleichgewicht schnell verloren. Mit zunehmender Höhe (ca. 5000 m) werde ich immer schwächer. Meine Füße werden sehr kalt, dann die Finger und insgesamt fühle ich mich total schwach. Wir wären wohl besser im Basislager geblieben. Auf einer Höhe von 5050 m erreichen wir die erste Möglichkeit ein Lager zu errichten. Unser Ziel war es, dass Lager auf etwa 5300 m einzurichten, damit wir für die Etappe zum Gipfel nicht mehr als 800 Höhenmeter haben.

056 Aufstieg Hochlager

Der Wind, die dadurch noch beißendere Kälte und mein gesundheitlicher Zustand waren für mich Grund genug, direkt wieder abzusteigen. Utta war entsetzt und enttäuscht, denn es ist harte Knochenarbeit, den schweren Rucksack vom Basislager ins Hochlager zu tragen. Sie wäre gerne die Nacht geblieben, aber ich habe zum Abstieg gedrängt. Gegen 16.00 Uhr haben wir dann den Abstieg begonnen und gegen 19.00 Uhr das Basislager erreicht. Während ich das Zelt aufbaue, kocht Utta unser Abendessen. Anschließend verschwinden wir mit einer Thermoskanne voll Tee im Zelt. Auch im Basislager weht nun ein unerträglicher Wind mit Sturmböen. Das Zelt knattert. Ich glaube, dass wir richtig entschieden haben.

057 Umkehr

Am Umkehrpunkt auf 5050 m

02.08.01 (32.Tag)

Wir stehen um 8.00 Uhr mit den ersten Sonnenstrahlen auf und bereiten nach dem Frühstück den Abstieg vor. Ein Arriero mit seinem Sohn sichert uns zu, dass er zwei Esel "drüben" hat und den Transport unserer Rucksäcke übernimmt. Wir wollen nur nach unten, der Tocllaraju hat noch immer riesige Schneefahnen, ein Warten erscheint nicht lohnenswert.

Als wir den Treffpunkt mit dem Arriero erreichen, ist weder er noch seine Esel da, auch kein anderer Arriero. Wir steigen also mit unseren großen Rucksäcken die 1000 Hm nach Collón ab. Nach fast 4 h erreichen wir das Kaff und finden sogar einen uns bekannten Fahrer, der uns nach Huaraz zurückbringen soll. Er verlangt 70 Soles!! Für den Hinweg haben wir nur 30 Soles bezahlt. Wir drücken den Preis auf 40 Soles. Dann tauchen plötzlich noch vier weitere Bergsteiger auf, die mitfahren wollen. Das hat im allgemeinen immer einen niedrigeren Preis für alle zur Folge. Bevor wir das diskutieren, fahren wir allerdings los.

059 Tocllaraju Sturm

Nevado Tocllaraju im Sturm

Utta und ich sitzen im Fahrerhäuschen, während die anderen vier auf der Ladefläche bei den Rucksäcken stehen. In Huaraz steigen die anderen zuerst aus und während sie abladen und bezahlen, stelle ich mich dazu. Jeder zahlt 10 Soles, das ist akzeptabel. Vor unserem Hostal will der Fahrer aber 40 Soles von uns haben, so wie vereinbart, sagt er. Ein heftiger Streit entfacht, den aber vor allem Utta und der Fahrer führen. Die Sache kommt einfach nicht zum Ende. Ich träume bereits davon, eine 2-Liter-Flasche Sprite an meinen Mund zu setzen und zu duschen. Plötzlich hat der Typ unseren 50 Soles-Schein in der Hand. Ich raste aus: Ich stelle mich hinter den Typen, damit er mit unserer Kohle nicht in seinem Auto fliehen kann und brülle ihn auf spanisch an. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass ich das so gut kann. Mein Mund war nur noch 10 cm von seinem Ohr entfernt und ich war entschlossen, dieses Trauerspiel ganz schnell zu beenden, notfalls auch mit einem oder mehreren Faustschlägen. Der Fahrer schien meine Entschlossenheit zu bemerken und war plötzlich mit 10 Soles pro Person einverstanden. Unsere sonst recht langsame Hostal-Chefin Inés schien den Ernst der Situation auch zu begreifen und wechselte uns blitzschnell unseren 50-Soles-Schein, damit der Fahrer ihr Haus verlässt.

Abends schauen wir bei Andres im Laden vorbei, da er uns zu einer gemeinsamen Tour eingeladen hatte. Wir wollen ihm absagen, denn der Frust in unseren Knochen ist gigantisch. Das Gespräch mit Andres baut wieder etwas auf, doch wir bleiben niedergeschlagen.

060 Hostal Zimmer

Im Hostalzimmer

03.08.01 (33.Tag)

Dieser Tag ist der (bisherige) Tiefpunkt unserer Expedition. Beide sind wir nicht in der Lage klar zu denken. Utta will so schnell wie möglich nach Hause, ich will vielleicht doch noch eine Tour, einen Berg versuchen. Keiner ist allerdings von seinen Wünschen überzeugt. Wir gehen uns eine zeitlang aus dem Weg und sortieren unsere Gedanken. Die Misserfolge haben uns beide ziemlich fertig gemacht.

04.08.01 (34.Tag)

Ein neuer Tag bringt neue Perspektiven, zumindest in unserem Fall. Wir reden viel und planen vorsichtig. Ein verfrühter Rückflug bleibt jedoch weiterhin denkbar.

05.08.01 (35.Tag)

Das Wetter hat wieder eine typische Entwicklung angenommen, d.h. mittags und nachmittags gibt es ein paar Wolken, die sich abends wieder auflösen. Das bedeutet auch, dass die Höhenwinde nicht mehr mit der Stärke blasen. Wir sind plötzlich wieder heiß und entschlossen, auf die nächste Tour zu gehen. Wir entscheiden uns ein zweites Mal zum Nevado Tocllaraju (6034 m) zu gehen. Der Aufbruch soll am 07.08. erfolgen.

06.08.01 (36.Tag)

Heute ist Organisations- und Vorbereitungstag für unsere zweite Tocllaraju-Tour. Das Wetter ist vielversprechend und wir sind motiviert. Die Gesundheit ist derzeit auch in Ordnung. Utta hat allerdings erst seit gestern spürbare Kälteschäden in drei Fingern. Sie muss um so vorsichtiger sein.

07.08.01 (37.Tag)

Um 8.00 Uhr holt uns der bestellte Kleinbus ab. Wir sammeln noch einen Italiener und einen Argentinier ein und fahren zu viert wieder nach Collón. Beim Verlassen von Huaraz passiert man bei der nördlichen und südlichen Ausfahrt eine Polizeistation, wo die Autos, insbesondere Collectivos (Kleinbusse), mehr oder weniger gründlich kontrolliert werden. Kurz vor unserer Kontrolle im Norden fordert der Fahrer uns auf, uns flach auf den Boden des Busses zu legen, während er langsam, ohne zu stoppen, am Kontrollposten vorbeifahren will. Wir sind etwas überrascht und zögern, aber der Fahrer kündigt direkt irgendwelche "problemas" an, wenn wir es nicht täten. Also, runter mit den schlaffen Körpern. Da ich mich auf dem Beifahrersitz befand, musste ich mich in Schildkrötenform im Fußraum verstecken. Obwohl wir uns keiner Schuld bewusst waren, fuhr das schlechte Gewissen und ein ungutes Gefühl in der Magengegend mit.

Kurz vor 9.00 Uhr erreichten wir Collón (3300 m), wo ich Jesús als unseren Arriero gewinnen konnte. Wir kennen ihn vom letzten Jahr als zuverlässigen Begleiter. Unsere großen Rucksäcke und der des Argentiniers werden nun die nächsten 4 h von zwei Eseln bis ins Basislager (4300 m) getragen. Meine Form ist erheblich besser als vor einer Woche, aber wir spüren, dass wir seit einigen Wochen unterwegs sind. Längst sind meine ohnehin spärlichen Fettreserven aufgebraucht. Jetzt bedient sich der Körper zunehmend an den Muskeln, die unglaublich schnell flacher werden.

Im Basislager wechselt wenig Sonnenschein mit viel Wolken ab, so dass es teilweise recht kühl ist. Das Wetter wird zunehmend schlechter und unsere Moral geht auf den Nullpunkt. Wir sind jetzt zum zweiten Mal hier und es scheint wieder aussichtslos zu werden. Morgen wollen wir ins Hochlager aufsteigen.

08.08.01 (38.Tag)

Um 7.00 h geht der Wecker. Der Blick aus dem Zelt lässt uns gänzlich verzweifeln. Alle Berge sind wolkenverhangen, an einen weiteren Aufstieg ist nicht zu denken. Wir verbringen einen langen, kalten Tag im Basislager.

061 BC Llaca 2 Versuch03
062 BC Llaca02

Zurück im Ishinca-Tal, unser Basislager

Unser Frühstück (Müsli mit Milchpulver und warmem Wasser) löst bei mir inzwischen einen Brechreiz aus, so dass sich bei jedem Löffel die Frage stellt, ob der leckere Brei nicht direkt wieder zurückkommt. Ansonsten müssen wir immer wieder vor Schnee- und Hagelschauern für längere Zeit ins Zelt flüchten. Haben wir das verdient??

Gegen Abend beruhigt sich das Wetter wieder etwas, aber es kann keine Hoffnung aufkommen. Wir denken beide wieder an zu Hause, an Wärme und die südspanische Sonne...

09.08.01 (39.Tag)

Gegen 4.00 Uhr verlassen wir beide das Zelt, um kurz in den nahen Büschen zu verschwinden. Zu unserem Erstaunen stellen wir fest, dass der Himmel völlig wolkenfrei ist. Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir beide an einen Abstieg gedacht, da uns so langsam das "positive thinking" abhandengekommen ist. Wir liegen bis 7.30 Uhr im Zelt und grübeln vor uns hin. Kann uns das (scheinbar) schöne Wetter doch noch motivieren oder haben wir keine Energie mehr??!

Als das erste Sonnenlicht unser Zelt streift, erwachen in mir die Lebensgeister und ich bin mir sicher, dass ich es versuchen möchte. Utta geht es ähnlich und wir bereiten unseren Aufbruch vor. Da das Zelt durch die klare, kalte Nacht eisverkrustet ist und die Schlafsäcke feucht sind, benötigen wir einige Zeit zum Trocknen. Gegen 10.00 Uhr brechen wir auf. Kurz vor dem Verlassen der Pampa des Basislagers sprechen uns zwei Indios an, die uns anbieten, dass sie unsere Rucksäcke bis zum Gletscherrand tragen. Wir zögern zunächst (denn schließlich sind wir „by fair means“ unterwegs) und nehmen dann nach kurzen Preisverhandlungen das Angebot an. Zwei Brüder schnappen sich unsere riesigen Rucksäcke und schleppen sie die ersten 400 Hm bis nahe des Gletscherrands. Utta geht ohne Gepäck und ich trage einen kleinen Rucksack mit dem Nötigsten.

063 Abend im BC02

wolkenverhangen am Abend ...

065 wieder Sturm am Toclla

... mit riesigen Schneefahnen am nächsten Morgen

066 Ranra u Ocsha
067 Aufstieg zum Hochlager

Nevado Ranrapalca (6162 m) und Ocshapalca (5881 m)

Nach 2,5 h erreichen wir schon den Gletscherrand. Uns beeindruckt die Leistungsfähigkeit der beiden Indios, die in typischen Sandalen ohne Socken gehen - für uns unvorstellbar. Die kalten Winde haben bereits deutlich zugenommen und zwingen uns bereits hier zu Goretex-Hose und -jacke. Wir steigen nun bis zu der ersten Lagermöglichkeit auf (5050 m). Da uns die 1000 Hm bis zum Gipfel zuviel sind, planen wir das Zelt vorteilhaft auf 5300 m aufzubauen. Am ersten Lagerplatz nimmt ein Kanadier mit uns Kontakt auf, der uns dringend abrät, in ein höheres Lager zu steigen. Er hatte mit zwei Bergsteigern gesprochen, die heute den Gipfel versucht hatten. Sie berichteten von unglaublich starken Winden, die das Zelt wegreißen könnten. Wir stehen bereits hier in starken Windböen und entscheiden uns, zu bleiben. So lange die Sonne noch die Zelte erreicht, ist es einigermaßen erträglich. Später wird es sehr, sehr kalt. Wir essen früh und verschwinden im Zelt (18.00 Uhr). Ingesamt sind wir acht Bergsteiger im Lager, drei Amerikaner mit einem peruanischen Guide, ein kanadisches Pärchen und wir. Wir alle verständigen uns auf die Weckzeit 1.00 Uhr und die Startzeit 2.00 Uhr.

Utta auf dem Weg zum Hochlager (5050 m)

068 im Hochlager
070 Toclla abends02

Unser Hochlager mit Blick zum Gipfel des Tocllaraju

links: Nevado Tocllaraju (6032 m) im Abendlicht; den starken Wind bzw. Sturm wird man hier kaum vermuten

Es folgt eine schlaflose Nacht. Oft lassen die Winde mit schwindendem Tageslicht nach, jetzt ist das Gegenteil der Fall. Ab 22.00 Uhr verstärken sich die Windböen zum Sturm, welcher auch den losen Pulverschnee verweht. Obwohl wir eines der sturmstabilsten Zelte, die es gibt, haben, wird unser Zelt vom Sturm beunruhigend deformiert. Hinzu peitschen die Schneeverwehungen immer lauter und stärker auf unser Zelt. Es ist zermürbend.

10.08.01 (40.Tag)

Um 2.00 Uhr ist der Himmel zwar sternenklar, aber der Sturm unerträglich. Wir bleiben im Lager, während sich aus dem Rest der Gruppe eine kleine Mannschaft bildet, die zum Gipfel aufbricht.

Um 7.00 Uhr kommen sie völlig erschöpft zurück. Sie haben nur die ungefährlicheren Gletscherflächen traversiert und mussten vor dem Erreichen des Grates umkehren. Der Sturm war so stark, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten. Zusätzlich hüllte sich der Gipfel des Tocllaraju in dichte Wolken, als zunächst einziger Berg der Region. Einer der Amerikaner hatte im Sturm seinen Überhandschuh verloren und sich Erfrierungen an den Fingern zugezogen. Er sagt zu mir: "It´s fucking cold and fucking stormy. Come on, let’s leave this fucking place." Ich dachte seit geraumer Zeit das Gleiche und bereitete bereits den Aufbruch vor. Ohne Frühstück packten wir alles ohne Verlust von Material ein und verließen als erste das ungemütliche Hochlager.

rechts: Blick zum Tocllaraju am nächsten Morgen (Gipfeltag?!)

Wir eilten die 750 Hm ins Basislager hinunter, um möglichst schnell in angenehmere Regionen zu kommen. Zu unserem Erstaunen treffen wir im Basislager Jesús, unseren Arriero, den wir auf morgen umbestellt hatten. Er hat unsere schriftliche Nachricht nie bekommen. Wen wundert es noch, wir sind in Perú, d.h. im unüberschaubaren Chaos. Wahrscheinlich hatte der andere Arriero die Nachricht aus Geldgeilheit behalten und wollte uns morgen selbst treffen.

071 Toclla next day02

Egal, wir sind einen Tag eher als geplant im Basislager und unser Arriero ist da. 3 h später erreichen wir Collón und finden sogar zwei Fahrer mit Kleinbussen vor. Allerdings erweisen sich beide als Halsabschneider ohne Geschäftssinn. Sie wollen beide 80 Soles für die Rückfahrt nach Huaraz, ein Wucherpreis. Der sonst übliche Verhandlungsspielraum ist bei den beiden Null. Eine Stunde später kommen auch alle anderen aus dem Hochlager an. Normalerweise kassieren die Fahrer für eine Gruppe mehr und machen das gerne. Bei acht Leuten hätte jeder 10 Soles zahlen können und der Fahrer hätte seine 80 Soles bekommen. Einer der beiden fährt irgendwann verärgert ab, der andere will plötzlich nur noch 5 Personen mitnehmen, obwohl er Platz für 15 hätte. Irgendwann erklären wir diesem Spinner, dass er zu blöd ist, um Geschäfte zu machen und nehmen unsere Rucksäcke auf und steigen zu Fuß zur Hauptstraße ab. Da nach uns niemand mehr vom Basislager absteigen wollte, ist dieser unflexible Gangster heute leer ausgegangen. Die Hälfte von uns acht erwischte später noch ein kleines Taxi und verkürzt sich so den Abstieg. Selbstverständlich gehörten Utta und ich zur anderen Hälfte, zusammen mit dem sehr netten kanadischen Pärchen. Wir sind die rund 7 km in 1 h 40 min abgestiegen und wurden von einem der üblichen Collectivos auf der Hauptstraße für 1 Sol (= 0,70 DM = 0,34 Euro) bis Huaraz mitgenommen.

072 wieder Rückzug02

wieder Rückzug!

Wir fühlen uns unglaublich schwach bei der Ankunft im Hostal (18.15 Uhr). Wir sind 2000 Hm seit heute Morgen abgestiegen und haben einen Müsliriegel, ein halbes Powerbar und einen Liter Cola zu uns genommen. Abends essen wir eine Riesenpizza. In der Nacht können wir vor Erschöpfung kaum schlafen.

11.08.01 (41.Tag)

Wir sind viel zu erschöpft, um frustriert zu sein. Jede Faser in unserem Körper schmerzt. Wir trocknen unsere Ausrüstung und diskutieren nachmittags darüber, ob es Sinn macht, nochmals zu einem Berg aufzubrechen. Ich will es wieder versuchen, Utta reicht es endgültig.

Bergsteigen ist von grenzenloser Irrationalität geprägt.

12.08.01 (42.Tag)

Heute ist Huaraz von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr ohne elektrischen Strom. Dieses Problem ist uns durch unser Leben in Spanien wohl bekannt. Die Cafes und Restaurants haben ihre Probleme mit der Zubereitung von Essen und warmen Getränken. Wir verbringen den Tag mit Lesen, Ausruhen, Waschen und Essen.

Da heute mein Geburtstag ist, gehen wir am Abend in das Restaurant "PachaMama" und essen Raclette. Der schweizer Chef macht uns den Kamin an, legt uns unsere Wunschmusik auf und verwöhnt uns den ganzen Abend. Der chilenische "vino tinto" lässt uns zumindest heute unsere Misserfolge am Berg vergessen. Wir verbringen einen sehr schönen Abend.

Wir können es nicht lassen...

In Huaraz ist wieder bestes Wetter ...

073 Huaraz u Hausberge

13.08.01 (43.Tag)

Wir können es nicht lassen. Wir wollen noch ein letztes Mal alle Kräfte mobilisieren und zum Nevado Huascaran (6765 m) aufbrechen. Heute bereiten wir alles vor. Da wir davon ausgehen, dass wir 6 Tage brauchen und zwei Hochlager, wollen wir erstmalig mit einem Hochträger gehen, der vor allem Utta entlasten soll. Wir wollen dafür den schon früher erwähnten Alfredo haben. Er hat die Erfahrung und die Ausrüstung uns bis ins zweite Hochlager (5950 m) zu begleiten. Alfredo hat Zeit und wir planen bereits den Aufbruch für Morgen.

Gegen 18.00 Uhr kommt plötzlich Alfredo in unser Hostal und sagt uns, dass er morgen nicht aufbrechen kann, da seine Mutter ernsthaft erkrankt ist. Wir stehen vor unseren gepackten Rucksäcken und können es nicht fassen. Das Glück scheint immer an unserer Seite zu sein, egal welchen Berg wir anpacken wollen. Alfredo beruhigt uns, denn er will bis morgen früh einen Freund besorgen, der uns begleiten soll. Wir haben uns allerdings nicht ohne Grund Alfredo ausgesucht und sind skeptisch.

074 Huasaran von Huaraz02

Nevado Huascaran von Huaraz aus, links die Huandoy-Gruppe, rechts der kegelförmige Chopicalqui

075 Huascaran von Musho02

Links Huascaran Norte (6664 m), rechts Huascaran Sur (6768 m) vom Dorf Musho aus

14.08.01 (44.Tag)

Alfredo erscheint mit einem Ersatzmann, der allerdings nicht die angekündigte Person ist. Wir besprechen einige Details und fahren danach zu dritt in den Ort Mancos und von dort hoch in das Dorf Mushos (3030 m), dem eigentlichen Ausgangspunkt für die Besteigung des Huascaran. Mit Träger erscheint mir alles komplizierter, denn es gibt Absprachen, zu welchem Eseltreiber man geht, wo man einen Tee trinkt usw. Erst nach 1,5 h in Mushos sind unsere Esel abmarschbereit. Währenddessen wird es Utta schlecht. Sie hat Kopfschmerzen, Schwindel und fühlt sich schwach. Alle Symptome sind ähnlich zu meinen bei unserem ersten Versuch am Nevado Tocllaraju. Wir steigen trotzdem auf. Nach 4 Std. erreichen wir das Basislager (4200 m), welches wie ein Adlerhorst über dem Santatal hängt. Leider ist es auch das bisher schmutzigste und am heftigsten nach Fäkalien (von Menschen und Eseln) stinkende Lager, das wir betreten haben. Sicherlich ist ein Grund, dass der Huascaran der höchste Berg Perus ist und damit auch das Ziel von Bergsteigern aus aller Welt.

Es ist sicherlich kaum noch nötig zu erwähnen, dass das Wetter am Nachmittag wesentlich schlechter wurde. Am Vortag gab es kaum Wolken, aber jetzt sah es schon recht unfreundlich aus. Wir sind solche Wetterumschwünge längst gewöhnt, da sie uns seit über sechs Wochen zum zuverlässigen Begleiter geworden sind.

076 in Musho

Im Dorf Musho (3030 m)

Start in Musho, vorbei am Friedhof. Da sind noch ein paar Plätze frei ...

079 Start in Musho
080 Friedfof Musho
081 Aufstieg ins BC Huascaran
085 BC abends
086 Cord Negra abends

Unsere Esel im langen Aufstieg zum Basislager am Huascaran

Abendstimmung im Basecamp

Sonnenuntergang über der Cordillera Negra vom Basislager aus

15.08.01 (45.Tag)

Heute steht der Aufstieg ins erste Hochlager (5200 m) an. Utta fühlt sich schwach, will aber ihr Bestes geben. Vor dem Aufbruch lernen wir noch einen peruanischen Bergführer kennen, der seine Ausbildung in der Schweiz gemacht hat. Er gehört zu den wenigen "echten" Bergführern in Peru. Er möchte uns einen Großteil unserer Ausrüstung abkaufen, da man in Peru keine neue Bergsteigerausrüstung erwerben kann, auch nicht in Lima. Wir nennen ihm die Dinge, die wir verkaufen würden und er vereinbart direkt einen Termin in Huaraz mit uns.

088 Aufstieg zum Moränenlager Andre

Der Aufstieg folgt zunächst riesigen Plattenfluchten aus Granit mit einigen Kletterpassagen im 2. und 3. Grad. Irgendwann begegnen wir dem im Abstieg befindlichen Adam aus Kanada, mit dem wir gemeinsam vom Tocllaraju heruntergekommen waren. Er redet wie ein Wasserfall auf mich ein, denn er saß alleine seit zwei Tagen im Hochlager 2 (5950 m) fest und konnte nun der Kälte und dem Sturm nicht mehr standhalten. Seine Füße wurden immer kälter und ohne Gesprächspartner hatte er das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Seine Freundin war bereits nach Kanada abgereist und so war er alleine aufgebrochen. Nun bereute er es, dass er uns nicht in Huaraz kontaktiert hatte, damit wir zusammen einen Versuch unternommen hätten.

Utta fühlte sich so schwach, dass wir uns entschieden, auf 4620 m im "Moränen Camp" zu bleiben, damit wir ein Lager auf dem Gletscher zunächst vermeiden. Auch von hier wirkt der Huascaran unglaublich riesig. Wir richten unser Lager zusammen mit einem Spanier aus Valencia ein, der auch von einem Hochträger begleitet wird. Es wird ein langer Nachmittag, an dem ich hoffe, dass es Utta nach und nach besser gehen wird. Mit unserem Träger kommen wir nicht besonders gut klar. Aus meiner Sicht ist er faul und vermeidet jede zusätzliche Arbeit. Ich frage mich, wozu wir ihn dabei haben. Uttas Rucksack ist leichter, meiner hat das gleiche Gewicht. Dafür mussten wir ein Zelt für den Hochträger ausleihen und jede Menge zusätzliche Lebensmittel und Benzin mitnehmen. Er ist ungepflegt und in seinem Zelt stinkt es bestialisch. Sein Kollege, der mit dem Spanier unterwegs ist, pisst sogar einen Meter neben deren laufenden Kocher, so dass einige Spritzer sogar das Nudelwasser erreichen. Ich glaube nicht, dass wir noch einmal mit einem Hochträger gehen werden. Die Harmonie und das Eingespieltsein zwischen Utta und mir sind einfach gestört.

087 Aufstieg zum Moränenlager
089 Moränenlager

Leider ist das nur unser sekundäres Problem, denn Utta signalisiert mir, dass sie wohl Morgen nicht fit genug sein wird, um weiter aufzusteigen. Ich trage es zunächst mit Fassung.

092 Abbau Moränenlager

Abbau vom “campo morena”

090 Felsenkunst

16.08.01 (46.Tag)

Um 7.00 Uhr steigen wir aus dem eisverkrusteten Zelt. Das Wetter ist sehr gut geworden, so dass einem weiteren Aufstieg nichts entgegenstünde, aber Utta geht es unverändert mies und sie fühlt sich zu schwach. Sie bietet mir an, dass sie alleine absteigt und ich mit Marcos, unserem Träger, weiter aufsteige. Die einzige für mich akzeptable Möglichkeit ist, dass Utta den nicht ganz ungefährlichen Abstieg mit Marcos zusammen macht und ich alleine Richtung Gipfel aufsteige. Für mich ist es unvorstellbar mit Marcos in einem Zelt weitere vier Nächte zu verbringen und mit ihm an einem Seil zu gehen. Der Gestank und die fehlende Harmonie würden mich verzweifeln lassen.

Ich fühle mich nach über sechs Wochen in Peru und sicherlich mindestens 6 kg Gewichtsverlust auch nicht mehr unendlich stark. Des weiteren begegneten wir gestern einigen anderen Bergsteigern, die alle nicht den Gipfel erreicht haben. Die Hauptgründe waren der Sturm, die unerträgliche Kälte und einige unüberwindbare Spalten, da inzwischen die Schneebrücken eingestürzt waren. Das bestärkte mich nicht gerade zu einem Solo-Trip.

Gegen 10.00 Uhr steigen wir alle ab, auch der Spanier, der wohl höhenkrank geworden ist. Im Basislager sind natürlich keine Esel, so dass wir ohne große Pause direkt weiter absteigen. Eine knappe Stunde vor dem Dorf Musho kommt uns ein Arriero mit zwei Eseln entgegen, der uns umsonst (!!!) unsere drei Rucksäcke auf seinen Eseln nach Musho transportiert.

Mit abnehmender Höhe legen sich der Frust und die Enttäuschung wie eine viel zu enge Gummibadekappe um meinen Kopf. Ich fühle mich elendig und irgendwie betrogen. Die weitere Wartezeit in Musho und die Fahrt über Mancos nach Huaraz erlebe wie in Trance. Zur Krönung bekommt einer der Esel beim Abladen der Rucksäcke Durchfall und die auf den Boden spritzende Scheiße trifft auch das Tragesystem meines Rucksacks. Ich schaue mir das ganze Spektakel nur noch mit einer merkwürdigen Gelassenheit an. Gerade als ich mich entschlossen habe, dem Esel mit meinen Skistöcken auf den Rücken zu schlagen, springt der Arriero für mich ein und besorgte das gleiche mit einem Strick, so dass der Esel das Weite sucht.

In Huaraz bezahle ich zähneknirschend unseren Hochträger Marcos, bin aber gleichzeitig froh, dass wir ihn endlich wieder loswerden. Im Hostal sind wir die einzigen Gäste. Unser Frust sitzt tief und am Abend schleichen wir wie geschlagene Hunde mit hängendem Kopf durch Huaraz. Bei unserem argentinischen Freund Andres geben wir das ausgeliehene Zelt ab und erfahren von ihm, dass er auch am Nevado Artesonraju mit seiner 900 m hohen Eisflanke gescheitert ist. Auch hier spielte ein Wettersturz eine entscheidende Rolle. Ursprünglich wollten wir dort gemeinsam klettern. Ein Amerikaner, der einen Tag vor Andres zum Gipfel wollte, stürzte bei einem Abseilmanöver 700 m in die Tiefe. Da es eine ebenmäßige Eiswand ist, überlebte er den Sturz. Nach diesen wenig erfreulichen Nachrichten haben wir uns die Mägen mit Riesen-Hamburgern vollgestopft. Der Frust, der sich über unser Gehirn gelegt hat, lässt sich an diesem Abend nicht mehr auflösen.

17.08.01 (47.Tag)

Heute frühstücken wir das Doppelte und reden viel über unseren "Zustand". Anschließend gehen wir in das Reisebüro unseres Vertrauens und fragen nach der Möglichkeit eine Woche eher zurückzufliegen. Die Lufthansa ist da wohl unflexibler als andere Airlines. Wir stehen nun auf der Warteliste für einen Rückflug am 21.08.01. Ob das klappt, erfahren wir Montag gegen 9.00 Uhr. Dann würden wir mit dem Nachtbus nach Huaraz fahren.

Ansonsten sitzen wir im Internet-Café und tätigen einige Frustkäufe erstmals online, damit wir uns bei unserer Ankunft in Spanien auf etwas freuen können. Außerdem suchen wir direkt nach Ersatz für die noch zu verkaufenden Ausrüstungsgegenstände.

Trotz aller Rückschläge werden wir unsere alpine Karriere nicht an den Nagel hängen, ganz im Gegenteil, wir sind voller Pläne, denn es gibt noch viele zu besteigende Berge rund um die Welt. Nach Peru werden wir auf keinen Fall im nächsten Jahr zurückkehren, vielleicht bleiben wir in den Alpen oder...

18.08.01 (48.Tag)

Es ist wieder einer der nicht sehr erlebnisreichen Tage in Huaraz. Wir ruhen aus, essen viel und träumen von zu Hause. Leider müssen wir mit der Ungewissheit leben, erst am Montag zu erfahren, ob wir schon am 21.08.01 oder erst am 28.08.01 nach Hause reisen.

Abends gönnen wir uns wieder einen Abend vor dem Kamin und essen Raclette und betäuben uns mit chilenischem Rotwein.

Nur eins ist sicher: Wir wollen beide auf keinen Berg mehr steigen.

093 wieder Huaraz

Sonne und Wärme in Huaraz

Warten und hoffen!?

19.08.01 (49.Tag)

Wir gammeln in Huaraz und kaufen einige Souvenirs ein. Wir sind etwas unruhig, da wir beide hoffen, dass wir Morgen bereits nach Lima fahren.

20.08.01 (50.Tag)

Wir erfahren, dass es völlig hoffnungslos ist, einen anderen Rückflug zu bekommen. Der Frust, der uns beide jetzt erfasst, sitzt tief.

Wir müssen umdenken und uns überlegen, wie wir sie nächsten Tage gestalten. Klettern und Eisklettern schwirren uns im Kopf herum. Morgen wollen wir nach Chancos fahren. Kurz vor dem Dorf wurden erst dieses Jahr acht Routen an einem kleinen Felsen eingebohrt.

21.08.01 (51.Tag)

Wir klettern in Chancos einige Routen und sind enttäuscht. Der Felsen ist so dreckig und staubig, dass man bereits nach einer Route den Sand zwischen den Zähnen knirschen hört. Hinzu kommt, dass der gesamte Fels brüchig ist und die Bohrhaken und Umlenkketten teilweise unprofessionell angebracht worden sind. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass hier auch Sicherungen ausbrechen. Trotz allem bin ich überrascht, wie viel Kraft ich doch noch nach all dem Gewichtsverlust habe. Nachdem wir schon dreckig waren, fiel die Hemmschwelle, sich richtig im Dreck zu suhlen.

Abends treffen wir uns mit dem Bergführer, den wir am Huascaran kennengelernt haben. Ich habe einen ganzen Rucksack voll mit Ausrüstung, die wir demnächst ohnehin austauschen wollen, dabei. Um 19.00 Uhr treffen wir uns vor dem Bergführerbüro. Da es dunkel, kalt und ungemütlich ist, erwarte ich, dass wir in das Büro oder dazugehörige Restaurant gehen. Unser Mann lotst uns direkt und schnell weg vom Büro in einen winzigen begrünten Park mit Laternen. Er hat einen jungen Mann als "Verstärkung" mitgebracht, den er uns als seinen "amigo" vorstellt. Das heißt in Peru gar nichts. Ich sehe mich um und stelle fest, dass wir vier alleine sind. Anschließend packe ich meine heiße Ware aus. Wie die Geier stürzen sich die beiden auf unsere Ausrüstung und inspizieren jedes Teil genau. Wir beantworten einige Detailfragen (3-Lagen-Goretex, getapte Nähte usw.). Der Bergführer legt alle begutachteten Dinge nach links auf die Parkbank. Es ist unklar, was ihn davon ernsthaft interessiert. Plötzlich taucht noch ein "amigo" aus der Dunkelheit auf und wird uns vorgestellt. Er zieht nun Uttas Goretex-Jacke an und der uns bekannte Bergführer meine, die ihm etwas zu groß ist. Der neu eingetroffene Amigo und der Bergführer behalten die Jacken gleich an. Der Amigo würde gerne meinen Schlafsack haben, aber 180 US-$ kann er heute nicht mehr auftreiben. Er zieht einen nagelneuen 100 $-Schein aus der Tasche und bezahlt die Goretex-Jacke (80 $).

Im Halbdunkel der Parklaterne ist es nicht so einfach, die Blüten vom Original zu unterscheiden. Inzwischen bin ich aber Experte geworden. 35 Jahre meines Lebens habe ich bewusst nie eine Blüte in der Hand gehabt und habe mich letztes Jahr hier in Peru betrügen lassen. Nun erkenne ich die Fälschungen der 5 Soles-Münzen, 20-, 50- und 100-Soles Scheine und der US-Dollar-Scheine. Bei den US-Dollar-Noten ist es am schwierigsten, da ein Wasserzeichen in den Scheinen erst im Laufe der Neunziger Jahre eingeführt wurde und manche "echte" Scheine vom Druck oder vom Papier qualitativ so mies wirken, dass man sie für Blüten halten könnte.

Der erste Amigo zieht mit der bezahlten Jacke glücklich davon. Nun fragen wir den Bergführer, was er denn jetzt haben möchte. Die Antwort: "Todos" (alles). Die Stirnlampen und unseren neuen Kocher wollten wir nicht verkaufen, aber falls er uns all die älteren Sachen abkauft, wollte ich ihm auch einige Dinge anbieten, die wir wieder leicht neu kaufen können. Jetzt geht es nur noch um den Gesamtbetrag. Ich teile Papier aus und der Bergführer, sein anderer Amigo und ich beginnen jeder für sich alle Positionen zu notieren und zu addieren. Die beiden ziehen sogar Taschenrechner aus der Tasche und tippen wie wild. Drei Leute und drei Ergebnisse. Natürlich habe ich den höchsten Betrag. Wir stellen dann schnell fest, dass der Bergführer die Goretex-Jacke vergessen hatte, denn die war nicht mehr in seinem Blickfeld. Er hatte sie schließlich an. Schnell stellt sich mein Ergebnis als das Richtige heraus und mehrere 100 US-$-Scheine wechseln den Besitzer. Nun wird auch klar, warum wir nicht im Büro waren. Unser Mann wollte zunächst alleine das Beste für sich bekommen. Morgen um 10.00 Uhr treffen wir uns wieder mit ihm, aber diesmal im Bergführer-Büro. Dort bekomme ich dann die Chance, den Rest seinen Kollegen anzubieten.

Wir gehen zufrieden essen. Abends im Hostal packt mich dann doch noch die Nervosität, denn beim feierlichen Dollar-Scheine zählen fällt mir ein Schein doch unangenehm auf. Er hat andere Motive, ist so knitterfrei und sieht eben wie selbstgemacht aus... Ich schlafe unruhig.

22.08.01 (52.Tag)

Noch vor dem Frühstück gehe ich mit seriöser Miene in eine der zahlreichen Wechselstuben, in denen man die peruanischen Soles in US-Dollar (oder umgekehrt) tauschen kann. Ich gebe dem Mann hinter der dicken Glasscheibe den verdächtigen 100 $-Schein und bitte ihn, dass er mir den Schein in 5-, 10- und 20-Dollar-Scheine wechselt. Schließlich brauche ich für die bevorstehenden Geschäfte Wechselgeld in allen Varianten. Unruhig beobachte ich wie der Mann den Schein immer wieder im Neonlicht wendet, dann schaltet er sein UV-Lämpchen an und ich rechne schon mit übelsten Beschimpfungen. Im Gegenteil, zufrieden und lächelnd schaut der Mann auf und gibt mir das gewünschte Wechselgeld. Daraufhin prüfe ich vor seinen Augen jeden einzelnen Schein, den er mir gegeben hat. Diese respektvolle Art, dem anderen sein 100 %iges Vertrauen zu bekunden, ist in Peru immer angebracht. Denn nur dann merkt das Gegenüber, dass man vorsichtig ist und die netten Landesgeflogenheiten des sich ständigen gegenseitigen Betrügens kennt und mit ihnen umzugehen weiß.

Ich verkaufe später noch meine Goretex-Hose.

23.08.01 (53.Tag)

Trotz des ganzen Drecks fahren wir heute zum zweiten Mal nach Chancos zum Klettern. Inzwischen scheidet Eisklettern auch aus, denn ich habe alles verkauft, was mich noch warm halten könnte. Wir verbringen trotzdem einen netten Tag am Fels.

24.08.01 (54.Tag)

Heute verkaufe ich meinen Schlafsack direkt beim ersten Versuch. Ein anderer Bergführer begutachtet ihn und ist begeistert. Er fährt nervös nach Hause und holt das Geld innerhalb von 20 Minuten. Damit ist nun fast alles verkauft.

Dem Argentinier Andres habe ich meine Kletterschuhe versprochen. Nachmittags sind wir beim ihm im Laden und wollen bouldern. Als ich ihm die Schuhe zum Anziehen gebe, gibt es unter den anwesenden Freunden und Bekannten direkt Unruhe, denn einige haben auch so große Füße. Andres passen die Schlappen wie angegossen. Er gibt mir ohne Zögern die verlangten 20 $. Fünf Minuten später frage ich ihn dann, ob er mir die Schuhe wohl zum Bouldern leihen würde, denn nun habe ich keine mehr. Kein Problem. Wir laden Andres noch nach Spanien ein, denn er würde gerne mit mir während der "rebajas" Klettersachen und andere Dinge kaufen, und natürlich klettern, klettern, klettern...

25.08.01 (55.Tag)

Heute haben wir unsere verbliebene Ausrüstung gereinigt und getrocknet. Bei Sonnenschein und einer Luftfeuchte von unter 40 % ist es ideal, auch das Zelt einmal richtig zu reinigen. Wir verpacken anschließend einen Großteil unserer Sachen. Übermorgen fahren wir mit dem Bus nach Lima.

Abends sind wir wieder im Restaurant PachaMama und unterhalten uns lange mit dem Chef (Schweizer). Er erzählt viel über seine Gründe hier in Peru zu leben und auch über die Schwierigkeiten. Bei all den Gesprächen wird uns bewusst, dass wir froh sind, Spanien und nicht Deutschland als unser Zuhause zu haben. Damit wir uns besser auf zu Hause vorbereiten können, holt uns Michael (der Chef) seinen Kater. Schließlich sind wir seit zwei Monaten ohne unsere Katzen. Später gibt er noch Baileys mit Kaffee aus.

Das, was du zurücklässt...

26.08.01 (56.Tag)

Wir genießen unseren letzten Tag mit viel Sonne in Huaraz. Heute verpacken wir unsere restlichen Sachen und bereiten die Abreise vor. Am Abend essen wir doch noch einmal im Paschamama bei Michael Raclette. Da wir ihm unser Kommen bereits gestern angekündigt haben, hat er ein Wahnsinns-Raclette vorbereitet. Die Menge an Käse und Schinken war etwa das Doppelte der üblichen Menge. Wieder sorgt Michael bzw. seine Bedienung dafür, das der offene Kamin brennt und sie verwöhnen uns mit allem. Nach dem Essen setzt sich Michael zu uns. Wir tauschen wieder jede Menge Gedanken zu allen möglichen Themen aus, und wir erfahren jede Menge Dinge über Huaraz und seine Menschen, die einem als normaler Tourist eher verborgen bleiben. Ein langer schöner Abend zum Abschluss. Auch heute gibt Michael wieder eine Runde aus. Als ich meinen bestellten Baileys an die Lippen setze, sagt er mir, dass er ihn noch mit einem Schuss Wodka "verfeinert" habe. Ich habe zumindest beim Verlassen des Lokals gemerkt, dass die Feinkoordination verloren gegangen ist. Selbstverständlich hat sein Kater Fritzli die meiste Zeit des Abends auf Uttas Schoß verbracht.

27.08.01 (57.Tag)

Heute ist der Tag des Abschiednehmens. So sehr wir uns auch einen verfrühten Rückflug gewünscht haben, so schwer fällt mir jetzt der Abschied. Wir haben innerhalb der letzten 14 Monate insgesamt vier (!!) Monate in Huaraz verbracht. Viele Südamerikareisende bleiben oft nur kurz an einem Ort und bereisen das ganze Land oder sogar noch Nachbarländer. Wir, mit unserem bergsteigerischen Tunnelblick, haben uns auf die Region beschränkt, die weltweit die meisten 6000er auf so kleiner Fläche „bereithält". Immerhin befinden sich in der Cordillera Blanca 20% aller 6000er der gesamten Anden.

Verbringt man so viele Monate an einem Ort, dann werden manche Kontakte doch intensiver als man denkt. Auch wenn der bergsteigerische Erfolg weitestgehend ausgeblieben ist, hat sich doch eine tiefe emotionale Bindung zu dieser Region aufgebaut und das Bedürfnis zurückzukehren ist sehr, sehr groß - nur nicht nächstes Jahr.

Ein letztes Frühstück, ein letzter Gang durch den Ort, ein letzter...

Bei unserem befreundeten Schmuckhändler machen wir noch einen Zwischenstopp. Er hat es doch noch geschafft und mir einen Lederbeutel genäht. Die üblichen Beutelchen waren mir viel zu klein. Jetzt habe ich ein schönes Unikat bekommen. Das Leder stammt vom Hals eines Rinds und soll mindestens bis zu meiner Rückkehr nach Peru halten. Auch der Bergführer, der uns fast alles abgekauft hat, findet sich ein und verabschiedet uns. Er freut sich, dass er so spät in der Saison noch zwei Kunden gefunden hat, mit denen er ab morgen zum Nevado Huascaran aufbrechen will.

Je mehr Bekannte und Freunde man noch trifft, desto schwerer fällt der Abschied und alle verabschieden uns mit den Worten "bis nächstes Jahr dann...", so als würden wir jetzt einen jährlichen Pendeldienst nach Huaraz einrichten.

Während der Busfahrt nach Lima drehe ich mich noch einige Male um. Nach einer halben Stunde, nach einer dreiviertel Stunde sieht man ihn immer noch das Santa-Tal dominieren: den Nevado Huascaran. Mit seiner gigantischen Masse und einer Höhe von 6768 m überragt er auch bei so großer Distanz alles andere. Und wir waren immer noch nicht oben...

Am Abend kommen wir in Lima an und gehen ins bekannte Hotel in Miraflores. Am Abend gibt es Hamburger im Hardrock-Cafe.

28.08.01 (58. Tag)

Wir verbringen ein bisschen Zeit im Larios-Center am Pazifik und mailen mit Freunden. Am Nachmittag geht es bereits zum Flughafen. Der Lufthansa-Schalter ist brechend voll. Warten, warten ...

29.08.01 (59. Tag)

Wir landen um 14.30 Uhr in Frankfurt. Von dort fahren wir mit der S-Bahn nach Wiesbaden. Dort holt uns Moni ab. Wir verbringen bei Moni und Felix die Nacht, denn unser Flug nach Málaga geht erst morgen.

30.08.01 (60. Tag)

Felix bringt uns wieder zurück zum Frankfurter Airport. Nach drei weiteren Stunden Flug erreichen wir unsere Wahlheimat Málaga. Unsere Nachbarin Moni holt uns in Málaga ab. Im Parkhaus des Flughafens treffen wir noch Roberto Blanco. Moni begrüßt ihn noch mit “Hola Roberto”. Marbella hat uns wieder.

 

095 Hotel in Lima

Vor dem Hotel in Miraflores

096 Pazifik

Blick auf den Pazifik vom Larios-Center

[Home] [Perú] [Cord. Blanca 2000] [Cord. Blanca 2001] [Cord. Blanca 2005] [Aconcagua] [España] [Links] [Downloads] [Wir über uns]