last update: 18.07.2012

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Cordillera Blanca 2005

4. Andenexpedition 2005        Cordillera Blanca           Huaraz / Ancash / Perú

Logo 2005 f

07.07.05 (1.Tag)

Nach einer Pause von vier Jahren brechen wir endlich wieder nach Perú auf. Da wir weiterhin an Kultur desinteressiert sind und den alpinen (besser: andinen) Tunnelblick haben, ist unser Ziel wieder die Cordillera Blanca mit ihren Eisriesen. Wir fliegen mit Iberia um 7.50 Uhr ab Düsseldorf nach Madrid und von dort um 12.40 Uhr nach Lima (Perú). Gegen 17.30 Uhr Ortszeit kommen wir in Lima an. Nach rund 12 h Flug sind wir froh, aus der Maschine zu kommen. Nachdem wir unser Gepäck erhalten haben und die Einreise gelungen ist, gilt unsere Sorge nur noch unserer roten (North Face) Tasche mit rund 90 Litern Volumen und 46,5 kg Gewicht. Ich habe sie vor 3 Tagen per Spedition nach Lima geschickt. Diese Möglichkeit ist billiger als Übergepäck zu zahlen. Leider ergeben die Recherchen im Cargo-Center Lima, dass die Tasche in unserer Maschine war und nicht wie geplant gestern eingetroffen ist. Durch die bevorstehenden Zollformalitäten ist die Tasche erst morgen zu bekommen.

08.07.05 (2.Tag)

Vom Hotel im sicheren Ortsteil Miraflores fahren wir rund 45 min. quer durch Lima zum Cargo-Center des Aeropuerto. Gegen 10.30 Uhr gehen wir zuerst zum Iberia-Schalter und müssen 100 Soles (ca. 31 US-Dollar) für das Handling durch Iberia zahlen. Die beiden Männer von gestern Abend geben uns im Gegenzug einen Empfangsschein für Talma. Diese Firma lagert und verwaltet alle Fracht, die am Flughafen ankommt und hat in ihren Hallen direkt auch die Zöllner stationiert. Gestern sagte man mir, dass es maximal 2 Stunden dauert. Deshalb haben wir dem Taxifahrer gesagt, dass er warten kann. Wir haben damit einen treuen und zuverlässigen Taxifahrer und er einen interessanten Tageslohn in US-Dollar. Leider stellt sich der gesamte Prozess als sehr, sehr langwierig dar. Ich werde von einem Typen genervt, der mir inoffiziell gegen Bezahlung beim Ausfüllen der Standard-Formulare helfen will. Obwohl ich am richtigen Schalter stehe und bereits mein Anliegen durch die Glasscheibe genannt habe, geht der Typ mir weiterhin recht aggressiv an die Wäsche. Die netten Mädels hinter der dicken Glasscheibe erkennen meine unangenehme Lage und bitten Utta und mich in ihr Büro hinter der Glasscheibe. Endlich Ruhe. Raphael, einer der Angestellten, macht es sich zu seiner (Tages)aufgabe den einzigen Gringos im gesamten Cargo-Center zu ihrer Fracht zu verhelfen. Immer wieder will die Chefin aller Zöllner Ergänzungen und Korrekturen zu den Formularen, denn bisher hatten alle Beteiligten wohl keine oder wenig Erfahrungen mit einer Fracht aus Europa, die privat verschickt wird und die von der selben Person abgeholt wird, die sie auch aufgegeben hat. Neben den riesigen Siemens-Holzkisten, HP-Kartons und anderen Warenlieferungen sind wir die Ausnahme. Als wir uns am Ziel glauben, ist es 12.30 Uhr, d.h. leider Mittagspause der Zöllner und Talma-Mitarbeiter. Raphael lädt uns im Sicherheitsbereich zum Mittagessen ein. Wir stehen also als einzige Kunden und Gringos mit allen Angestellten in der Kantine und holen uns unser Tablett für das Menú del día. Eigentlich möchten wir Raphael zum Mittagessen einladen, aber ein Augenzwinkern zur Kassiererin reicht und schon ist alles irgendwie (auf Firmenkosten) verbucht. Wir erhalten erst gar nicht die Chance, ihn einzuladen. Wir essen gemeinsam mit Raphael und erzählen ihm von unseren bergsteigerischen Plänen in der Cordillera Blanca. Danach ist er noch motivierter, dass wir heute unsere rote Tasche bekommen.

Gegen 16.30 Uhr erhalten wir sie endlich. Allerdings mussten wir sie zuvor öffnen und teilweise auspacken, damit sich die Chefin vom Zoll den Inhalt genauestens ansehen konnte. Die Dame (mit den Haaren auf den Zähnen) hatte Bedenken, dass wir unsere Powerbars, das gefriergetrocknete Essen, die Fruchtschnitten etc. verkaufen könnten. Sie hatte Schwierigkeiten sich vorzustellen, dass zwei Personen soviel essen können. Als sie dann unsere Skistöcke, Eispickel usw. sichtete, hielt sie uns für völlig durchgeknallt. Sie wollte einen 60 g-Riegel Powerbar als kleines Präsent, damit auch sie weiß, wie die ihr unbekannten drögen Dinger schmecken. Von Raphael verlangte sie aber, dass er noch eine eidesstattliche Erklärung für uns formuliert, in der wir beteuern, dass alles nur zum Eigenbedarf importiert wird. Wir zahlen noch ganz offiziell 54 US-Dollar für die Bemühungen der Zöllnerin und erhalten unsere begehrte Fracht. Raphael umarmt und drückt mich nach dem Erhalt der Tasche und freut sich offensichtlich noch mehr als wir es tun. Er wünscht uns alles Gute für die Berge und würde wohl gerne wieder von uns hören. Leider versäume ich es, ihm wenigstens unsere E-Mail-Adresse zu geben. Als ich ihm zum Abschied noch 20 Dollar für seine unglaublichen Bemühungen in die Hand drücken will, lehnt er vehement ab und sagt nur, dass es doch sein Job gewesen wäre ... - Mit dem Taxifahrer hatte ich zwischenzeitlich eine Tagespauschale vereinbart. Er fährt uns zum Busunternehmen Cruz del Sur, wo wir aber erfahren, dass wir morgen nicht mehr nach Huaraz kommen, da der Bus bereits ausgebucht ist. Wir kaufen zwei Tickets für Sonntag (10.07.05). Um 18.00 Uhr sind wir wieder glücklich im Hotel. Wir schließen diesen schrecklichen Tag ab, indem wir Hamburgesa mit Fritten essen.

001 Hotel Ducado

Unser Hotel El Ducado

002 Kleines Haus

09.07.05 (3.Tag)

Ab 4.30 Uhr wälze ich mich im Bett. Die Zeitverschiebung setzt uns zu. Nach dem Frühstück im Hotel verbringen wir einen ruhigen Tag in Lima und genießen, dass wir die gesamte Ausrüstung zusammen haben, um endlich in die Berge fahren zu können. Die folgende Nacht ist weniger ruhig. Gegen 1.30 Uhr wecken mich die Red Hot Chili Peppers. Es ist Samstagnacht und in unserer Straße gibt es eine Party. „Californication“ reißt mich aus dem Schlaf, weiter geht es mit „The other side“, dann wieder „Californication“. Nach jedem Stück jubeln und applaudieren die Partygäste wie auf einem Live-Konzert. Irgendwann schlafe ich wieder ein und habe meine Ohrwürmer für den nächsten Tag.

003 Miraflores1
004 Lima Bus1

Unterwegs in Miraflores

Beim Anblick des Darth-Vader-Busses fällt uns nur spontan ein: “Möge die Macht auch mit uns sein.” Für die geplanten Bergbesteigungen könnte es helfen.

10.07.05 (4.Tag)

Nach dem Frühstück im Hotel fahren wir durch Limas Straßen ohne am Smog zu ersticken. Es ist Sonntag und fast kein Auto unterwegs. Am Bus-Terminal von Cruz del Sur finden in diesem Jahr Kontrollen statt, die denen am Flughafen ähneln. Jeder Passagier wir mit einem Metalldetektor abgetastet und das Handgepäck durchsucht. Dabei wird man digital gefilmt. Als der Bus vollbesetzt ist, geht einer der Sicherheitsleute mit der Kamera durch den Bus und filmt jeden einzelnen Fahrgast auf seinem Sitzplatz. Wir sind nicht sicher, ob uns das beruhigen oder beunruhigen soll. Um 9.30 Uhr startet der Bus nach Huaraz. Für die etwa 400 km benötigt er 7,5 h. Wieder ist es erschütternd, dass wir auf der Fahrt nach Norden rund 1 h durch die Slums von Lima fahren. Die letzten “Häuser” bestehen nur aus Holzlatten und Plastikplanen und stehen bereits im Wüstensand.

Gegen 17 Uhr kommen wir in Huaraz (3090 m) an. Wir haben einen wolkenlosen Himmel und die Eisriesen der Cordillera Blanca ragen in diesen empor. Wir fahren mit unseren knapp 110 kg Gepäck zum Hostal Galaxia. Die Chefin begrüßt uns als alte Bekannte, aber ihre kalte Art hat sie noch immer nicht abgelegt. Unser Lieblingszimmer ist zwar frei, aber die Qualität in diesem Hostal ist in den letzten vier Jahren weiter zurückgegangen. Stolz erzählt uns die Chefin, dass sich das Galaxia jetzt Hotel (!) nennen darf.

005 Brits

Blick über einen Teil von Huaraz; vorne links das Hostal Brits

11.07.05 (5.Tag)

Die Nacht im durchgelegenen Ehebett und die Gerüche in diesem Haus lassen unangenehme Erinnerungen an 2001 hochkommen. In diesem “El Niño”-Jahr waren wir zwei Monate hier, aber am Berg fast nie erfolgreich. Wir müssen hier raus. Nach dem Frühstück besichtigen wir andere Hostales und ziehen noch vor dem Mittagessen ins Hostal Brits. Wir sind erleichtert, dass wir so schnell fündig geworden sind. Anschließend wandern wir zur ersten Akklimatisierung zum Mirador oberhalb von Huaraz und erreichen eine Höhe von 3300 m. Uns beiden geht es sehr gut und wir sind glücklich, dass wir wieder hier sind.

006 Huaraz vom Mirador
007 Mirador Kreuz

André am Kreuz des Miradors; im Hintergrund erkennt man die Nevados Vallunaraju (5686 m), Ocshapalca (5881 m), Ranrapalca (6162 m) und Rima Rima (5254 m)

Blick vom Mirador (3300 m) über Huaraz

12.07.05 (6.Tag)

Die Betten im Brits sind sensationell. Für meinen inzwischen etwas angeschlagenen Rücken ist es ein Genuss. Zur weiteren Akklimatisierung fahren wir heute mit einem Collectivo (= Sammeltaxi) zum Dorf Llupa (3400 m) und wandern von dort über Pitec (3850 m) zur türkisfarbenen Laguna Churup (4450 m). Auch diese kleine Akklimatisierungstour läuft ohne Probleme.

008 Llupa1
009 Llupa2

Auf dem Weg nach Pitec erhält man immer wieder Einblicke in das sehr einfache Leben der Indios. Neben den wenigen aus Natursteinen gebauten Häusern (oben), gibt es vor allem die aus selbst hergestellten Lehmziegeln erbauten Häuser (unten).

Kurz nach dem Start in Llupa (3400 m)

010 Llupa302
011 Esel

Zwei Indio-Pickups mit Vier-Bein-Antrieb

oberhalb des Dorfes Llupa

013 Steilstufe 012 Utta Bach 014 Laguna Churup

Utta unterwegs im oberen Steilaufschwung und am Ziel: Laguna Churup (4450 m)

015 Nev Churup03

Links: Nevado Churup (5493 m) von der gleichnamigen Laguna aus gesehen. Die stark überwächtete SW-Wand bietet verschiedene Routen, die mindestens mit D+ bewertet sind.

Rechts: Wieder ein verwahrloster Hund, der sich über jedes Essen freut.

016 Perro de Churup

13.07.05 (7.Tag)

Heute bereiten wir unsere erste Tour vor und kaufen “bencina blanca” für den Kocher und ein paar Lebensmittel ein. Wir besuchen unseren argentinischen Freund Andres, der die Trekking-Agentur Andean Kingdom betreibt. Wir alle freuen uns über das Wiedersehen und Andres will wissen, was wir die letzten Jahre getrieben haben und was wir dieses Jahr vorhaben. Es gibt viel zu erzählen. Wir bitten ihn, dass er uns einen Transport ins Llaca-Tal für morgen organisiert. Während des Tages stellen sich die ersten Verdauungsprobleme südamerikanischer Art ein. Sollen wir wirklich morgen aufbrechen?

017 Blick Brits

Vorbereitungen für unsere erste Tour: Ausrüstung auswählen und packen. Nichts vergessen??

018 Dachgarten

Blick von Hostal entlang der Straße und auf den “Dachgarten” des Nachbarhauses.

019 Bett Vorbereitung

14.07.05 (8.Tag)

Um 6 Uhr stehen wir auf. Utta hat leider kein warmes Wasser zum Duschen, denn die Jungs vom Hostal beheizen den Ofen auf dem Dach mit Holz!! Da kann man nicht erwarten, dass sie den Ofen bzw. das Wasser über Nacht auf Temperatur halten. Zum Glück habe ich gestern geduscht. Unser Taxi ins Llaca-Tal soll um 7 Uhr kommen. Andres hat uns noch zwei Belgier vermittelt, die mit ihren Mountainbikes bis zum Pistenende mitfahren möchten. Das halbiert den Preis. Die beiden wollen die rund 20 km downhill brettern. Um 7.30 Uhr ist noch immer kein Taxi da. Wir sehen das Taxi mit den MTBs auf dem Dach vorbeifahren, können uns aber nicht bemerkbar machen. Offensichtlich suchen sie uns. Wir stellen bald fest, dass wir Andres das falsche Hostal angegeben haben. Wir wohnen im Brits, glaubten aber im Edwards Inn zu wohnen, d.h., dass der Taxifahrer uns nicht finden kann. Leuten wie uns, die nicht wissen, wo sie wohnen, kann man eigentlich nicht helfen ...

Kurz nach 7.30 Uhr suche ich uns vor dem Hostal einen Pickup-Fahrer, der offensichtlich noch nichts zu tun hat. Nach etwas zähen Verhandlungen über den Preis geht es um kurz vor 8 Uhr endlich los. Mit diesem alten, aber sehr geländegängigen Toyota brettern wir die wirklich sehr schlechte Piste ins Llaca-Tal. Gegen 9 Uhr sind wir bereits am Ende der Piste. Rekordzeit. Sonst dauert es eher 2 h. Wir verabschieden den Fahrer und steigen noch 15 min. weiter aufwärts zum Basislagerplatz vom Jahr 2001. Nachdem wir das Basislager eingerichtet haben, bekomme ich die erste Krise (= Lagerkoller?). Urplötzlich hinterfrage ich unser Tun, habe keine Lust 5-6 Tage im Dreck zu leben, zu frieren und mich zu quälen … In den Westalpen kann man auch schöne 4000er in 1-2 Tagen erreichen ohne 30 oder 35 kg-Rucksäcke den Berg hinaufzuschleppen (!?).

020 Refugio Llaca02

Blick ins Llaca-Tal in Richtung Huaraz: Am Pistenende ist eine alte Lagunenarbeiterhütte wieder aufgebaut worden. Seit diesem Jahr besteht dort die Möglichkeit der Übernachtung. Im eigenen Zelt ist es weitaus hygienischer.

In diesem wunderschönen, aber engen Tal verschwindet die Sonne an unserem Lagerplatz bereits um 13.00 Uhr, danach wird es unangenehm kalt, denn wir sind auf rund 4400 m. Ich lege mich mit meinem Frust nach dem Mittagessen ins Zelt und schlafe. Utta wandert zur Laguna Llaca hinauf und beobachtet ein anderes Team beim Abstieg vom Vallunaraju. Sie sind auf einer Route unterwegs, die in den Jahren 2000 und 2001 nicht sicher begehbar war. Wir hatten in Huaraz bereits von Andres und anderen gehört, dass in diesem Jahr fantastische Verhältnisse in der Route herrschen sollen. Wir haben genug Ausrüstung dabei, um von unserer Fels- und Eisroute auf die Gletscherroute auszuweichen. An der von uns geplanten Route sind wir bereits 2000 und 2001 gescheitert. Das verursacht psychischen Druck. Andererseits haben wir jede Menge Vorkenntnisse und Erfahrungen. Über die Gletscherroute wissen wir nur wenig. Beim Abendessen ist mein kleiner ”Lagerkoller” wieder etwas gesundem Optimismus gewichen. Wir entscheiden uns zunächst für die Gletscherroute und wollen morgen ins Moränenlager (5000 m) dieser Route aufsteigen und Informationen sammeln. Dabei planen wir, dass alles, auf das wir im Basislager verzichten können, vor allem Essen, bereits morgen mit nach oben getragen wird. Nacheinander bekommen wir Durchfall. Typisch Perú.

021a Basecamp Llaca
022 Andre motiviert02

Unser Basecamp im Quebrada Llaca (4400 m)

André mit Lagerkoller

023 Ranra vom BC

Nevado Ranrapalca (6162 m) am Abend vom Basecamp

15.07.05 (9.Tag)

Nach einem Frühstück in der Sonne steigen wir gegen 10.45 Uhr zum Moränenlager auf. Es ist gerade im unteren Teil ein sehr steiler Aufstieg. An einer Stelle muss ein vereister Sturzbach überquert werden. Dort müssen wir sichern und im Abstieg sogar abseilen. Das bedeutet, dass wir die Klettergurte und das Seil nicht oben deponieren können.

024 BC morgens

Frühstück im Basecamp

Nach 3 h erreichen wir das Moränenlager auf 5000 m Höhe. Wir packen alles Entbehrliche aus unseren beiden Rucksäcken in Uttas und verstecken ihn zwischen Felsen. Nach einer kurzen Pause steigen in 1,5 h wieder ab. Beide fühlen wir uns gesundheitlich wohl; es gibt keine Anzeichen von Höhenkrankheit. Am Abend bekommt Utta ihren ersten “Lagerkoller” und könnte direkt nach Hause fliegen. Wir sind nicht allzu besorgt, da wir mit solchen Stimmungsschwankungen Erfahrungen haben. Dies ist eben kein Badeurlaub auf Mallorca, wo die einzige Sorge ist, dass der 5-Liter-Eimer Sangria schon wieder leer ist …

025 jümarn02

Utta jümart mit Genuss

16.07.05 (10.Tag)

Gegen 8.00 Uhr stehen wir auf. Beide spüren wir den gestrigen Aufstieg in den Knochen. Nach dem Frühstück bauen wir das Lager zügig ab. Was für die Gletscherroute nicht benötigt wird, verstecken wir in einem Sack zwischen Felsblöcken. Heute sind die großen Rucksäcke deutlich schwerer, da wir nun Zelt, Schlafsäcke, Isomatten, Kocher, Seil etc. auf dem Rücken haben. Beim Aufsetzen der Rucksäcke lässt sich Utta zu der Äußerung hinreißen, dass sie gar nicht aufsteigen würde, wenn wir nicht schon oben ein Depot eingerichtet hätten. Ich weiß ganz genau, was sie meint.

026 Andre jümart

Wieder jümarn, aber jetzt unter Volllast!

027 Aufstieg Moränencamp

Unterwegs zum Moränenlager; Ranrapalca im Hintergrund

Trotz aller Befürchtungen empfinden wir den heutigen Aufstieg mit schweren Rucksäcken leichter als den gestrigen. Die Höhenanpassung scheint zu gelingen. Nach 3¼ h erreichen das Moränenlager. Während ich das Zelt aufbaue, holt Utta Wasser und den versteckten Rucksack. Gegen 16.00 Uhr verschwindet die Sonne im Moränenlager. Bevor es uns kalt wird, steigen wir über die riesigen Granitplatten in ca. 30 min. zum Gletscherbeginn. Die Wegfindung ist nicht ganz einfach, so dass es gut ist, sie sich einzuprägen, damit wir sie morgen früh im Dunkeln finden. Obwohl wir nur 600 m höher lagern, ist es abends so kalt, dass wir in der Apsis kochen. Das Moränenlager liegt sehr exponiert, so dass wir wunderbare Fernblicke genießen.

028 Moränenlager

André im Moränenlager auf 5000 m

Rechts: Gletschersee oberhalb des Moränenlagers nahe des Einstiegs; im Hintergrund der Rima Rima (5254 m)

029 Gletschersee

17.07.05 (11.Tag) Gipfeltag Vallunaraju (5686 m)

Um 4 Uhr geht der Wecker. Utta startet direkt den Benzinkocher in der Apsis. Wir bereiten insgesamt 4 Liter heißes Wasser zu. Das dauert. Unser neues und auch leckeres Müsli ist etwas zu wässerig geworden, so dass es Utta wieder hochkommt. Mir schmeckt es. Utta weicht auf das Nahrungskonzentrat BP5 aus. Das erste Stück bleibt drin, das zweite spuckt sie auch direkt wieder aus. Macht nichts, denn Utta redet nur noch davon, dass wir heute den Gipfel erreichen. Um 5.30 Uhr gehen wir los. Das erste Tageslicht kommt bald. Nach 30 min. sind wir am Gletscherrand. Nun ziehen wir Steigeisen, Gamaschen an und seilen uns an.

030 Eisen an 031 erstes Licht

Weiter geht´s. Wir finden sehr schnell einen gemeinsamen Gehrythmus, so dass wir zügig vorankommen. Wir durchsteigen eine wunderschöne Gletscherlandschaft, in der es Spalten gibt, in denen man Mehrfamilienhäuser versenken könnte. Das Büßereis hat nur Höhen zwischen 5 und 20 cm. Am Aconcagua haben wir uns zuletzt durch 2 m hohe Eissäulen gekämpft.

032 Utta im Aufstieg 033 Cord Negra

Endlich die ersten wärmenden Sonnenstrahlen

Blick zurück auf die Cordillera Negra

035 Blick auf Doppelgipfel 036 Utta unterwegs

Blick auf den Vallunaraju: links der höhere Nordgipfel (5686 m), rechts der Südgipfel (5600 m); ein langer Weg noch ...

034 Andre im Col

Im Col zwischen Nord- und Südgipfel

Rechts: André am Grat oberhalb des Cols

Kurze Pause

037 Andre am Grat

Ab dem Col zwischen Nord- und Südgipfel ist der Grat sehr überwechtet. Wir halten uns möglichst fern der Abbruchkante. Einige Passagen haben nur noch sehr wenig Tragkraft. Wir weichen ein paar Mal in die steilere Flanke aus. Nach 5,5 h erreichen wir den (nördlichen) Hauptgipfel des Vallunaraju (5686 m) bei traumhafter Sicht. Endlich haben wir diesen Gipfel erreicht. Nach den vergeblichen Versuchen in den Jahren 2000 und 2001 ist es eine tiefe Befriedigung, endlich ganz oben zu stehen. Wir bleiben trotz des kalten Windes 45 min. am Gipfel und genießen. Wir haben den ganzen Berg für uns alleine, genau so, wie wir es lieben. Nach nur 1 h 50 min. erreichen wir den unteren Gletscherrand, nach weiteren 30 min. das Moränenlager. Trotz des Erfolges stellt sich bei uns beiden nicht das erwartete Glücksgefühl ein. Wir reden am Abend sehr viel darüber. Was ist dieses Jahr anders?

038 Blick nach Norden

Blick in nördliche Richtung; das riesige Massiv des Huascaran (6768 m) dominiert das Santa-Tal

040 nahe des Gipfels
039 Wechten

Utta im Bereich sehr fragiler Wechten

Links: André nahe des Gipfels

041 Vallu Utta 042 Vallu Andre 043 Südgipfel

Am Gipfel des Nevado Vallunaraju (5686 m);  rechts: Blick hinunter zum Südgipfel

044 Osha Rana

Blick auf Ocshapalca (5881 m) und Ranarapalca (6162 m)

045 Moränencamp

Moränencamp (5000 m) am nächsten Morgen

18.07.05 (12.Tag)

Nach einer weiteren Nacht im Moränenlager auf 5000 m steigen wir wieder ab zum Basislager (4400 m). In der Nacht hatte es Neuschnee gegeben. Das Wetter kippt, denn es geht auf Vollmond zu. Dieses Phänomen, was viele Einheimische gerne beschreiben, gibt es in der Cordillera Blanca wirklich. Um Vollmond herum ist das Wetter 4 bis 6 Tage wechselhaft und für Bergtouren oft ungeeignet. Wir reden beim Abstieg sehr wenig und hängen unseren Gedanken nach. Unten, am Ende der Schotterpiste erwarten wir ein “Taxi”. Utta holt noch unser verstecktes Material, während ich mich mit zwei Basken unterhalte, die heute Nacht aufgrund des schlechten Wetters am benachbarten Nevado Ocshapalca (5881 m) gescheitert sind. Sie sind etwas frustriert, denn es war ihr sechstes Scheitern insgesamt und ihr viertes (!) in dieser Saison. Irgendwann sehen wir tief unten im Tal ein Auto hochschleichen, d.h. wir kommen heute noch hier weg. Während des Wartens unterhalten sich Utta und ich ausgiebig. Bei uns beiden stellte sich das große Glücksgefühl erst während des heutigen Abstiegs vom Moränenlager ein. Warum auch immer!? – Die Fahrt hinunter wird noch einmal zu einem Höllenritt, da es ein normaler Pkw ist. Wir fahren mit den beiden Basken und einem Indio-Jungen hinunter. Durch die vielen Personen und vier riesigen Rucksäcke ist der Toyota Corolla mehr als tiefer gelegt. Der Fahrer rangiert zwar geschickt, aber wir setzen viel zu oft hart auf. An einigen Stellen steigen wir alle aus, damit das Auto überhaupt über die Hindernisse kommt. Nachdem wir den Indio-Jungen in seiner Siedlung abgesetzt haben, erreichen wir gegen 17.00 Uhr Huaraz. Nach 5 Tagen in den Bergen genießen wir das Duschen. Abends verschlingt jeder von uns eine Familien-Pizza. Und eins ist sicher: keiner von uns will noch nach Hause, sondern nur noch auf den nächsten Berg.

19.07.05 (13.Tag)

Heute ist einer der schönen Tage danach: Wir genießen endlich wieder ein gepflegtes Frühstück, sortieren und trocknen unsere Ausrüstung, bringen unsere schmutzige Wäsche weg und essen und essen. Natürlich schmieden wir bereits neue Pläne, denn unsere erste Akklimatisationsphase scheint gelungen und wir sind bereits heute heiß auf den nächsten Berg.

20.07.05 (14.Tag)

In den Bergen hängen weiterhin die Wolken. Erst morgen ist Vollmond. Im Tal hingegen haben wir ausschließlich Sonne bei 25 Grad. Wir basteln ein bisschen an der Ausrüstung und genießen das Nichtstun.

21.07.05 (15.Tag)

Wir verbringen einen weiteren Ruhetag in Huaraz und warten auf eine Wetterstabilisierung. Da das Wetter im Santa-Tal bei wolkenlosem Himmel sommerlich warm ist, hält man es gut aus. Der Nachteil ist, dass wir zu oft pro Tag in Cafés bzw. Restaurants gehen und der Stapel mit den Dollar-Scheinen immer schlanker wird.

046 in Huaraz

Sonne in Huaraz, Wolken in den Bergen

22.07.05 (16.Tag)

Heute schlafen wir wieder lang. Nach dem Frühstück schauen wir bei Andres vorbei, damit er uns einen zuverlässigen Fahrer für morgen besorgt. Heute hat er in seiner Trekking-Agentur endlich weniger zu tun, so dass wir uns länger unterhalten können. Sein Laden läuft so gut, dass seine Freundin und sein Bruder aus Argentinien auch mit eingestiegen sind. Vor Beginn der Saison war er wieder in Europa unterwegs, hat seine Ex in Freiburg besucht und war in einigen wesentlichen Klettergebieten Europas unterwegs. Wir stellen immer wieder fest, dass Argentinier eine enorme Affinität zu Europa haben. Am Nachmittag packen wir unsere Rucksäcke für die nächste Tour ins Ishinca-Tal zum Tocllaraju (6032 m) und bereiten uns darauf vor, das Zimmer morgen wieder zu räumen.

23.07.05 (17.Tag)

Wir stehen um 7 Uhr auf und packen die Reste zusammen. Um 8 Uhr holt uns der von Andres beauftragte Taxifahrer ab. Endlich einmal jemand, der nicht so eine von innen verdreckte Karre hat. Wir fahren noch bei einem Bäcker vorbei und verlassen dann Huaraz in nördlicher Richtung. Die Piste hoch nach Collón ist noch mieser als ich sie in Erinnerung hatte. Nach einigen Aufsetzern erreichen wir die Drei-Häuser-Siedlung oberhalb von Collón (3300 m). Der auch von Andres ausgewählte Arriero (= Eseltreiber) ist leider oben im Basislager, aber seine Frau wählt einen würdigen Vertreter aus. Luciano holt ein Pferd und der langwierige und ausgiebig zelebrierte Prozess des Gepäckaufladens kostet eine weitere halbe Stunde. Trotz allem stellt sich Luciano als echter Glücksgriff heraus. Wir steigen das landschaftlich reizvolle Ishinca-Tal hinauf. Nach etwa der halben Strecke gibt es eine Neuerung. Dort hat man ein Häuschen gebaut, in dem ein Nationalpark-Ranger sitzt und nun auch hier abkassiert. Eintageskarten (5 Soles) gibt es hier nicht, also ist die volle Summe von 65 Soles für die Vier-Wochen-Karte nötig. In typisch peruanischer Weise lautet der Aufdruck: gültig für eine Woche. Der Ranger versichert uns aber, dass unsere Eintrittskarte für den Huascaran-Nationalpark trotzdem vier Wochen gültig ist. Warten wir es ab.

047 Start in Collon02

Utta, unser Arriero und das Pferd mit unserer Ausrüstung kurz nach dem Start in Collón

048 im Inshinca-Tal 049 im Inshinca-Tal Wald 050 Unser Ziel

Unterwegs im Ishinca-Tal; durch Quenua-Wäldchen

Unser Ziel: Nevado Tocllaraju (6032 m)

Nach 4,5 h erreichen wir das Basislager auf 4400 m. Luciano hat das Pferd bereits abgeladen und genießt die Sonne. Wir richten unser Lager ein. Luciano ist auf der Suche nach einem zweiten Kollegen, denn wir möchten ihn und einen weiteren Mann als Hochträger für den morgigen Aufstieg ins Hochlager (5200 m). Da er nicht fündig wird, steigt er unerwartet nach Collón ab, um morgen früh zu zweit zurückzukehren. Wir fühlen uns erstaunlich müde, obwohl das Pferd die Hauptlast getragen hat. Am Abend kochen wir im der Apsis und essen im Zelt. Draußen ist es unangenehm kalt. Das Wetter wirkt stabil.

051 Basecamp Ishinca

Unser Basislager des Ishinca-Tals (4400 m)

053 Tocllaraju im Abendlicht
052 kochen im Basecamp

André und sein “geliebter” Benzinkocher

Nevado Tocllaraju (6032 m) im Abendlicht. Unsere geplante Aufstiegsroute verläuft weitestgehend über den linken NW-Grat.

24.07.05 (18.Tag)

Um 7.30 Uhr stehen wir auf. Utta macht draußen Frühstück, während ich im Zelt alles zusammenpacke. Wir haben keine Zeit, um das Zelt und die Schlafsäcke richtig zu trocknen. Das können wir hoffentlich noch im Hochlager nachholen. Kurz nach 9 Uhr kommt Luciano von Collón hoch. Sein Partner hatte sich uns aber bereits vorgestellt. Es ist Jesús, ein Arriero, der für uns schon im Jahr 2001 zuverlässig gearbeitet hat. Auch er erinnert sich an uns. Wir deponieren einen kleinen Teil unserer Ausrüstung bei Jesús´ Familie, die zwei Zelte vor einer kleinen Höhle permanent im Basislager bewohnt. Das Ishinca-Tal ist in der Cordillera Blanca das meist besuchte Tal, so dass es für die Indios Einnahmequellen gibt. Neben dem Materialtransport mit Eseln / Pferden, der Arbeit als Hochträger und als Koch verdienen sich die Familien neuerdings noch etwas dazu, in dem sie Cola und ähnliche Getränke an Bergsteiger und Trekker verkaufen.

054 Basecamp vor dem Aufbruch 055 Aufstieg zu Camp 1 056 Aufstieg zu Camp 1

morgendlicher Zeltabbau im Basislager; Utta im ersten Teil des Aufstiegs und oberhalb der Vegetationsgrenze

Um 10 Uhr starten wir zu fünft. Luciano und Jesús dürfen die Hauptlast tragen, während Utta und ich uns mit den kleineren Rucksäcken quälen. Außerdem begleitet uns noch ein Hund, der zu Jesús´ Familie gehört. Einen Namen hat er wohl nicht. Der zweite steilere Aufstieg fällt uns schwer und der ersehnte Gletscherbeginn liegt in diesem Jahr auf viel größerer Höhe. Mit Steigeisen arbeiten wir uns den Gletscher hoch. Unser „Lagerplatz“ auf 5050 m aus dem Jahr 2001 ist momentan nicht existent. Der Gletscher im Bereich der letzten Felsen ist derzeit so steil, dass man nirgendwo ein Zelt aufstellen könnte. Auf einer Höhe von 5200 m erreichen wir ein ebenes Gletscherplateau, welches als das diesjährige Hochlager dient. Ich hatte auf einen noch höheren Lagerplatz gehofft. Jesús und Luciano sind mächtig stolz in diesem Hochlager zu sein und wollen eine ausgiebige Fotosession mit dem eindrucksvollen Tocllaraju (6032 m) im Hintergrund. Sie haben sogar einen eigenen Fotoapparat dabei. Anschließend verabschieden sich die beiden und steigen ab. Leider findet ihr Hund den Weg nicht hinunter. Er folgt den beiden nicht, die bereits nach 5 min. aus dem Blickfeld verschwunden sind. Alle Versuche den Hund nach unten zu leiten schlagen fehl. Wir hoffen, dass er später absteigen wird – leider vergeblich.

058 unser Team 057 auf dem Gletscher

 Luciano und Jesús mit der Hauptlast;  endlich auf dem Gletscher nach all den Felsen      

059 Gruppenbild mit Hund

Jesús, Luciano, André und “el perro”

060 Hochlager Tocllaraju

Unser Hochlager auf 5200 m

Bei bestem Wetter bauen wir das Zelt auf und richten uns ein. Ein paar andere Bergsteiger trudeln später noch ein. Der Lagerplatz ist von gigantischen Gletscherspalten umgeben, auch der weitere Aufstieg führt zwischen diesen Monstern hindurch. Da aber die Routenführung für die nächsten 1 bis 2 h offensichtlich zu sein scheint, mache ich mir dummerweise nicht die Mühe, den weiteren Aufstieg zu erkunden. Normalerweise verzichte ich nie darauf, aber es ist so viel einfacher die Wärme im Zelt zu genießen ... In Absprache mit unseren nordamerikanischen Nachbarn stellen wir den Wecker auf 1.30 Uhr.

061 Toclla vom Hochlager aus 062 Warten im Hochlager

Blick vom Hochlager auf den Tocllaraju (6032 m);  Blick aus dem Zelt: ausruhen und warten

25.07.05 (19.Tag)

Nach einer unruhigen und kalten Nacht reißt uns der Wecker um 1.30 Uhr aus dem Schlaf. Sofort beginnt Utta mit dem Schneeschmelzen. Leider dauert es länger als geplant. Ein Müsli bekommen wir um diese Uhrzeit nicht hinunter. Jeder von uns würgt sich eine hart gefrorene Fruchtschnitte hinein und trinkt etwas Tee. Die anderen Teams brechen bereits auf. Als wir das Zelt verlassen sind die anderen nicht oder weiter oben an den Stirnlampen auszumachen. Das Mondlicht sorgt zwar für erstaunlich viel Helligkeit, aber der Routenverlauf ist kaum erkennbar. Da der Schnee bretthart gefroren ist und oberflächlich mit Büßereis überzogen ist, hinterließen die anderen Teams kaum bzw. keine erkennbaren Spuren. Wir starten erst kurz nach 3 Uhr und haben sehr schnell Probleme: die Geländeprofilierung ist kaum auszumachen und geschlossene Spalten sind erst sehr spät erkennbar. Wir irren umher, stehen auf wenig vertrauenserweckenden Schneebrücken, kehren um, versuchen es woanders erneut und verlieren dabei sehr viel Zeit. Es ist ein zermürbendes Spiel. Irgendwann glauben wir, dass wir den entscheidenden Steilaufschwung erreicht haben. Ich entdecke weiter oberhalb zwei Lichtpunkte von Stirnlampen und bin wieder zuversichtlicher. Kurze Zeit später bemerke ich, dass die beiden über uns trotz des jetzt offensichtlicheren Geländes umherirren und nicht kontinuierlich steigen. Ist es doch eine Sackgasse? Warum bin ich gestern die Tour nicht angegangen?? - Utta und ich bleiben stehen, um uns zu beraten. Dabei wird klar, dass Utta sich überhaupt nicht wohl fühlt. Wir hatten bislang nur über das Nötigste gesprochen, d.h. über die Wegfindung. Nun erfahre ich, dass sie eine fürchterliche Nacht hatte und beinahe permanent gefroren hat. Außerdem hat sie „weiche Beine“ und ihr ist schlecht. Während wir uns austauschen, kommt ein leichter Wind auf. Zunächst unbemerkt kühlen wir aus, insbesondere die Füße. Ich dränge auf ein baldiges Weitersteigen, obwohl ich auch nicht sicher bin, ob es die richtige Firnflanke ist. Alternativen zu dieser Flanke sind von unserer Position aus nicht erkennbar. Kaum steigen wir die ersten Schritte, da übergibt sich Utta in kaum fassbarer Intensität. Damit ist die Entscheidung gefallen... Wir kehren um. Auf unserem Abstieg zum Hochlagerzelt kriechen sowohl Verzweifelung als auch Erleichterung in mir hoch. Nach zwei vergeblichen Versuchen an diesem Berg im Jahr 2001 ist ein erneutes Scheitern unerträglich. Eigentlich ist es kaum zu fassen, denn diesmal stimmen sogar die äußeren Bedingungen. Keine der an diesem Berg üblichen Höhenstürme, keine Wolken. Die Erleichterung resultiert wohl aus dem Wissen, dass die Quälerei bald ein Ende hat.

Wir schlafen im Hochlager bis 8.30 Uhr. Anschließend bauen wir unser Lager ab. Das Tageslicht offenbart, dass ein Team erst gar nicht gestartet ist und auch heute ins Basislager absteigen wird. Ein Österreicher mit Bergführer und Koch trudelt gegen 10 Uhr auch gescheitert im Hochlager ein. Gesprochen wird in diesem Hochlager nur sehr wenig, jeder kramt mit gesenktem Haupt seine Sachen zusammen und versucht das eigene Scheitern zu verdauen. Für uns ist derzeit die einzige Freude, dass Jesús Hund die Nacht auf 5200 m Höhe überlebt hat. Mein größtes Ziel ist, dass er mit uns absteigt und hier nicht verreckt. Inzwischen ist er so hungrig, dass er Powerbar harvest gerne frisst. Glücklicherweise begleitet er uns danach ins Basislager, in dem wir nach einem qualvollen Abstieg gegen 14 Uhr ankommen. Über Jesús´ Familie, die unsere restliche Ausrüstung eingelagert hat, organisieren wir unseren Abstieg mit einem Esel für morgenfrüh. Ursprünglich sollte Luciano uns erst übermorgen im Basislager treffen.

Ohne lange Gespräche ist uns beiden klar, dass dies unser letzter Versuch war, einen Gipfel zu erreichen. Wir haben in diesem Jahr zwar eine exzellente konditionelle Vorbereitung, aber uns fehlt die nötige Leidensbereitschaft.

064 Nevado Copa
065 Basecamp
063 Abstieg aus dem Hochlager

Utta im Abstieg ins Basislager

Links: Nevado Copa (6188 m) während des Abstiegs vom Hochlager

066 Blick zurück

zurück im Basislager

26.07.05 (20.Tag)

Unser treuer Arriero Luciano kommt am Morgen mit europäischer Pünktlichkeit von Collón hoch, um uns abzuholen. Bei allen Analysen, die in unseren Köpfen ablaufen, stellt sich auch die Frage, ob wir noch einen Tag im Hochlager hätten warten sollen, um es evtl. heute zu versuchen. Obwohl es im Basislager sonnig ist, hängt der Tocllaraju komplett in dunklen Wolken und die drei Urus-Gipfel werden von finsteren Wolken umspült – Höhensturm. Der Gipfeltag war gestern.

Luciano bepackt den Esel und wir steigen den langen Weg nach Collón ab. Von dort fahren wir nach Huaraz und freuen uns auf eine Dusche. Abends essen wir im La brasa roja dicke Hamburgesa. Trotzdem rauscht mein Kopf: Was haben wir falsch gemacht? - Analysen über Analysen. Ein Teufelskreis.

Ein Blick zurück zum Tocllaraju: Gipfelwetter

067 Luciano und Esel

Kurz vor dem Aufbruch im Basislager

27.07.05 (21.Tag)

Einer der ganz schlimmen Tage: Nach dem Frühstück sitzen wir auf dem Plaza de Armas und reden. Wir müssen für uns entscheiden, ob wir noch einen weiteren Berg versuchen wollen. Drei Wochen hätten wir noch zur Verfügung. Jeder passionierte Bergsteiger kennt das: Am Berg, wenn man in Schwierigkeiten steckt, lässt man sich zu Äußerungen hinreißen, in denen betont, dass man sich (vorerst) nicht wieder in solche Situationen begeben wird. Kaum ist man auf dem Weg ins Tal, dann werden bereits neue Pläne geschmiedet, die einen wahrscheinlich in ganz ähnliche „Schwierigkeiten“ bringen werden. Dieser altbekannte Teufelkreis findet bei uns erstmalig nicht statt. Wir wollen keine schweren Rucksäcke mehr schleppen, keine kalten Nächte ertragen, keinen Frust mehr erleben, weil nach Tagen des Anmarsches und des Steigens dann doch kein Gipfelwetter ist oder einer von uns beiden wieder krank wird.

Alle nicht ganz so anspruchsvollen Gipfel (Urus, Ishinca, Pisco, Chopicalqui) haben wir in den Jahren 2000 und 2001 erreicht. Die meisten der für dieses Jahr von uns projektierten Gipfel sind nicht oder nur mit sehr hohem Risiko zu besteigen. Die (angeblich) niederschlagsarmen Jahre (2002 bis 2004) und die globale Erwärmung haben für stark veränderte Verhältnisse an den Bergen geführt. Einige Berge, z.B. die oben genannten, sind leichter erreichbar. Der Alpamayo ist in dieser Saison noch unbestiegen, weil eine riesige Gipfelwechte über der SW-Wand hängt. Der Gipfel des Huascarans ist aufgrund der vielen offenen Spalten noch nicht erreicht worden. Am Copa ist die Zahl der Spalten noch weiter gestiegen. Keine Besteigungen. So ließe sich diese Liste fortsetzen. – Wir haben keine Bereitschaft, auf einen der machbaren Gipfel ein zweites Mal zu steigen. Dafür sind wir nicht um die halbe Welt geflogen. Eine Alternative zum Bergsteigen fällt uns auch nicht ein. Weder Trekking noch Kultur kommen in Frage.

Die Berge auf unserer Wunschliste sind derzeit nicht besteigbar, unser diesjähriger alpiner „Biss“ (= Leidensbereitschaft) ist zu wenig ausgeprägt. Wir wollen die Wochen nicht in Huaraz oder sonst wo in Perú verklüngeln. Wir gehen in ein uns bekanntes Reisebüro und lassen prüfen, ob wir eher nach Hause fliegen können. Schnell stellt sich heraus, dass es nur eine einzige Möglichkeit gibt: Mittwoch, 02.08.05. In der Hauptsaison gibt es ganz wenig freie Plätze von und nach Perú. Unschlüssig stehen wir mit zitterigen Händen im Reisebüro und ... lassen reservieren. Durch die kommenden Nationalfeiertage am 28./29.07. und das Wochenende sind die Busplätze nach Lima knapp. Wir ergattern aber noch zwei Plätze im Nachtbus am 30.07. um 22.30 Uhr. Jetzt ist eine Entscheidung da, aber besser fühlen wir uns dadurch nicht – im Gegenteil.

28.07.05 (22.Tag)

Ein depressiver Tag. Wir verkaufen unser gefriergetrocknetes Essen, die Powerbar-Riegel, Estacas und Kletterschuhe. Es sind verlustreiche Verkäufe. Wir müssen aber unser Gepäck erheblich reduzieren, sonst wird das Übergepäck nicht zu bezahlen sein. Abends essen wir im Pachamama. Michaels Kater Fritzli gibt es zum Glück auch noch.

29.07.05 (23.Tag)

Ein weiterer Tag in Huaraz. Der Höhepunkt ist sicherlich, dass wir am Abend wieder bei Michael im Pachamama essen. Er bereitet uns wieder ein besonderes Raclette, das wir auch schon 2001 genossen haben. Nach dem Essen tauschen wir wieder viele Geschichten mit Michael aus. Ein schöner Abend.

068 Umzüge

Feiern und Umzüge zum Unabhängigkeitstag in Huaraz

30.07.05 (24.Tag)

Unsere letzte Nacht in Huaraz ist vorbei. Das Zimmer im Brit´s dürfen wir gegen eine kleine Gebühr bis zum Abend behalten. Die jetzt noch übrig gebliebenen Nahrungsmittel schenken wir dem Schmuckverkäufer, den wir seit dem Jahr 2000 kennen. Einen Teil kann er für seine Familie verwenden, den Rest wird er an Bergsteiger verkaufen, die ihn an seinem Straßenstand besuchen.

Gegen 22.30 Uhr verlassen wir Huaraz mit dem Bus. Endlich ist die Warterei vorbei. Ein Abschied bei Nacht hat den Vorteil, dass man sich die Berge nicht noch einmal wehmütig anschauen muss.

31.07.05 (25.Tag)

Um 5.30 Uhr kommen wir in Lima an. Offensichtlich habe ich einige Zeit geschlafen. Dafür schmerzen mir nun einige Halswirbel und die Knie. Um 6 Uhr sind wir bereits wieder im Hotel in Miraflores. Leider müssen wir bis 7 Uhr auf unser Zimmer warten, da es noch gereinigt werden muss. Nach dem Frühstück im Hotel schlafen wir bis 13 Uhr. Wir verbringen den Tag mit dem Schreiben von E-Mails und essen Kuchen mit Blick auf den Pazifik (Bild rechts). Diese Tage kosten vor allem viel Geld und lassen sich kaum sinnvoll nutzen.

069 am Pazifik

01.08.05 (26.Tag)

Heute wird es noch einmal spannend. Es ist Montag und es ist der erste Arbeitstag nach dem langen Wochenende (vier Tage). Wir fahren mit dem Taxifahrer Alejandro nach San Isidoro zur Iberia-Verwaltung, denn bislang haben wir nichts Schriftliches über unsere Umbuchung, nur eine mündliche Zusage. Nur Alejandro ist sehr zuversichtlich, dass es ein rein formaler Akt würde. Wir zahlen unsere 100 US$ Umbuchungsgebühr, bekommen die Tickets geändert und steigen wieder in sein Taxi. Unser Optimismus ist doch eher verhalten und von starken Magen-Darm-Beschwerden begleitet. Was machen wir, wenn nun doch keine Plätze mehr frei sind? – Zurück nach Huaraz? – Die Dame in Huaraz hatte nur mit Iberia telefoniert und auch nur mündlich zugesagt bekommen, dass die Umbuchung im Computer bereits vollzogen sei. – Das Taxi hält vor dem Hochhaus, in dem sich Iberia befindet. Alejandro schlägt vor, dass wir kurz bei Iberia rein gehen, alles klar machen und er währenddessen wartet. Wir sagen zögerlich zu. 15 Minuten später sitzen wir wirklich wieder in seinem Taxi. Er ist zufrieden und wir auch. Den Rest des Tages spielen wir wieder Zeittotschläger.

070 LarcoMar

Im LarcoMar-Center in Miraflores

02.08.05 (27.Tag)

Der letzte Tag in Lima. Gegen 12 Uhr müssen wir unser Zimmer räumen. Wir drücken uns wieder im LarcoMar-Center am Pazifik herum, essen und warten. Am späten Nachmittag holt uns Alejandro mit seinem Taxi am Hotel ab. Gegen 17 Uhr stehen wir vor dem Flughafen. Beim Einchecken haben wir trotz aller Verkäufe noch 65 kg (!!!) Gepäck. In den Jahren 2000 bis 2002 starteten wir immer von Málaga nach Südamerika und haben trotz deutlicher Überschreitungen niemals Übergepäck bezahlt. Ein kleiner Flirt und der Hinweis aufs Bergsteigen haben immer gereicht. Seit dieser Zeit hat sich Einiges verschärft. Die Dame am Schalter lässt sich nicht betören und gesteht uns 25 kg statt der erlaubten 20 kg zu. Das bedeutet, dass wir immer noch 15 kg Übergepäck haben. Sie bietet uns an, dass wir unsere 100-Liter-North-Face-Tasche ausmisten, um unser Gepäck zu reduzieren. Wir lehnen ab und die Dame der Iberia berechnet 413 US$ für das Übergepäck. Es sind keine weiteren Verhandlungen mehr möglich. Ich ziehe die Kreditkarte. Das Verbrennen von Geldscheinen im Reinhard-Karl´schen Sinne nimmt kein Ende. 11 nervige Stunden Nachtflug nach Madrid liegen vor uns.

03.08.05 (28.Tag)

Kurz nach 14 Uhr MEZ landen wir in Madrid. Zuvor haben wir sehnsüchtige Blicke auf die spanische Landschaft geworfen. Viel lieber würden wir nach diesen Erlebnissen in unsere ehemalige Wahlheimat Andalusien zurückkehren. Aber statt nach Málaga fliegen wir leider nach Düsseldorf. Wir haben nur ein Minimum an Zeit, um das Terminal in Madrid zu wechseln. Wir sind schnell genug, aber unsere Flugnummer ist auf den Monitoren nicht zu finden. Wieder einmal steigt die Unruhe. Nach längeren Recherchen erfahren wir, dass wir an dem Gate warten sollen, an dem der einzige Flug nach Düsseldorf ausgewiesen ist – auch wenn die Flugnummer eine andere ist. Irgendwann sitzen wir in einer Maschine für 120 Personen. Beim Blick aus dem Fenster sehe ich, dass die Etiketten einzelner Gepäckstücke vom Personal einzeln überprüft werden. Manche Taschen und Koffer wandern nur sehr zögerlich in den Bauch der Maschine. Ob unsere Ausrüstung wohl dabei ist??

Wir verlassen Madrid bei Sonnenschein und erreichen Düsseldorf in einem so sehr schweren Gewitter, dass wir Angst bekommen. Bei der Landung gibt es solche Turbulenzen, dass die Maschine 20 m über der Landebahn zu schaukeln beginnt. Dabei schlagen die Tragflächen beinahe auf dem Boden auf. Im letzten Augenblick gibt der Pilot Vollgas und wir starten durch. Wir gewinnen wieder an Höhe und kreisen über Düsseldorf im Unwetter. Endlich kommt eine Durchsage. Wir erfahren, dass wir bis zur Wetterberuhigung (oder bis der Tank leer ist) ist der Luft bleiben. Welch eine Begrüßung in Deutschland? Nach etwa 20 min. bringt uns der Pilot im immer noch schlechten Wetter unsanft auf den Boden. Nicht nur die Fluggäste sind erleichtert... Um unsere Odyssee zu beenden, müssen wir nur noch unser Gepäck bekommen und nach Hause fahren. Gar nicht so einfach, wie sich zeigt. Unsere beiden großen Rucksäcke liegen irgendwann auf dem Gepäckband. Die große North-Face-Tasche kommt nicht. Wir sind nicht die einzigen Passagiere, die etwas vermissen. Dafür kreisen auf dem Gepäckband mindestens 12 Gepäckstücke, die keiner haben will. Also bewegen wir uns zum Büro für Verlustmeldungen. Unser Flug beschert den Angestellten jede Menge Arbeit. Zum Glück gehören wir zu den Ersten. Anschließend versuchen wir mit dem NRW-Shuttle-Service eine Fahrt nach Wuppertal zu bekommen. Man sagt uns, dass in wenigen Minuten ein weiteres Ehepaar aus Wuppertal nach Hause gefahren werden möchte. Wir warten. Aus wenigen Minuten wird mehr als eine halbe Stunde. Wenig später beladen wir einen VW-Bus im Parkhaus. Los geht´s. Der Fahrer setzt zurück, legt den ersten Gang ein und startet Richtung Ausfahrt. Nach rund 5 m gibt es einen lauten Knall und wir werden durchgeschüttelt. Ende der Fahrt – Motorschaden. Einige Zeit später übernimmt ein Kollege unseres Fahrers die Fahrt. Wieder ein VW-Bus, aber dieses Mal kommen wir bis nach Hause. Nach all den Vorkommnissen sind wir froh, dass wir gesund zu Hause angekommen sind.

04.08.05 (29.Tag)

Heute bringt uns ein mauliger Rentner die vermisste rote Tasche in seinem privaten Pkw. Offensichtlich verteilt der Flughafen Düsseldorf auf diesem Wege kostengünstig verlorengegangene Gepäckstücke. Nun ist unsere diesjährige Perú-Reise abgeschlossen. Die Auswirkungen auf Psyche und Geldbeutel werden wohl noch lange zu spüren sein ...

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